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Warum Forschungsergebnisse so schleppend in der Klinik ankommen

Donnerstag, 11. Juni 2015 – Autor:
Der Transfer von Forschungsergebnissen in die Krankenversorgung läuft schleppender als gewünscht. Geldmangel scheint dabei nur eine von vielen Hürden zu sein, wie Experten am Mittwoch auf dem Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit in Berlin deutlich machten.
Deutschlands Forschung schöpft sein Potenzial noch nicht ganz aus. Dieses Fazit zogen Experten von Charité und DKFZ auf dem Hauptstadtkongress in Berlin

Deutschlands Forschung schöpft sein Potenzial nicht aus. Dieses Fazit zogen Experten von Charité und DKFZ auf dem Hauptstadtkongress in Berlin

Wenn über den Transfer von Forschungsergebnissen in die Krankenversorgung, die sogenannte Translation diskutiert wird, geht der Blick ganz schnell über den großen Teich. Denn die USA sind in diesem Punkt Deutschland um einiges voraus. Flachere Hierarchien, höhere Budgets und Anreizsysteme, Klinik und Forschung unter einen Hut zu bringen, sind nach Ansicht von Charité-Vorstand Professor Karl-Max Einhäupl die entscheidenden Faktoren, warum beim großen Bruder die Translation besser läuft. „Große klinische Forschungseinrichtungen in den USA verfügen über 30- bis 40mal höhere Budgets als vergleichbare Einrichtungen in Deutschland“, sagte er am Mittwoch auf dem Hauptstadtkongress in Berlin. Die bessere Ausstattung der Universitäten erlaube es den Ärzten, sowohl klinisch als auch in der Forschung tätig zu sein. „In den USA kommen Nobelpreise noch aus den Universitäten“, erklärte Einhäupl. In Deutschland sei das schier undenkbar.

Charité fördert klinische Forscher mit eigenem Programm

Das Dilemma deutscher Universitätskliniken ist bekannt: Die Krankenversorgung ist chronisch unterfinanziert, die letzte Anhebung der Fallpauschalen DRGs reichte noch nicht einmal, um die Inflation zu decken. Darüber hinaus ist eine wissenschaftliche Karriere mit so vielen Unsicherheiten behaftetet, dass sie laut Einhäupl kaum noch einer einschlagen will. „Wir haben ein Problem, gute klinische Forscher zu finden und unsere Eliten zu reproduzieren“, sagte er. Die Charité habe deshalb das Clinical Scientists Programm auf den Weg gebracht, das Klinikern ein ganzes Jahr Zeit für die Forschung gibt.

Gute Klinische Forscher sind unabdingbar, um neue Ideen auch tatsächlich in die Klinik zu bringen. In Heidelberg sind aus diesem Grund das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) und das Nationale Tumorcentrum (NCT) unter ein Dach gezogen. DKFZ-Chef Professor Otmar Wiestler hatte aber noch mehr Rezepte gegen die strukturellen Probleme in der Tasche: Intelligente Partnerschaften, auch mit der Industrie, eine moderne Infrastruktur an Geräten und IT sowie last but not least das Anwerben exzellenter Köpfe.  „Wir haben ganz sicher strukturelle Probleme in Deutschland“, sagte Wiestler, „gleichzeitig haben wir aber auch ein riesiges Potenzial.“ Zwar gebe es in Deutschland keine Eliteeinrichtungen wie in Boston, Texas oder Stanford, jedoch einzelne exzellente Gruppen. „Wir müssen diese Gruppen zusammenbringen, um kritische Masse zu schaffen“, betonte der Krebsforscher. „Dann können wir auch den Wettbewerb mit den USA aufnehmen.“

In Deutschland gibt es einzelne exzellente Gruppen

Die sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung sowie das Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH) - einem Zusammenschluss aus Charité und MDC sind nach Ansicht der Experten ein wichtiger Schritt dahin. Schließlich kommen hier die besten Köpfe zusammen. Darüber hinaus setzen klinische Forschungseinrichtungen zunehmend auf Partnerschaften mit der Industrie. Die Charité hatte schon vor einigen Jahren erklärt, Industriepartner Nummer eins werden zu wollen, weil man sich hiervon einen beschleunigten Transfer von der Wissenschaft in die Klinik erhofft.

Am DKFZ hat zum Beispiel der Pharmakonzern Bayer ein eigenes Labor. Über 30 gemeinsame Entwicklungsprojekte gibt es derzeit, eines davon wird demnächst in die klinische Prüfung gehen. „Und das nach nur sechs Jahren Entwicklungsarbeit“, betonte Otmar Wiestler. "In solchen Partnerschaften steckt eine enorme Power."

Viele Arzneimittel und Medizinprodukte floppen

Die Industrie ist allerdings kein Garant dafür, dass Neuentwicklungen auch beim Patienten ankommen. Viele Medikamente floppen in der kritischen Phase III – mitunter hat ein Pharmakonzern bis dahin eine Milliarde Euro versenkt. Mit Medizinprodukten kann es ähnlich laufen. Die von Siemens entwickelte Partikeltherapie gegen Krebs hat in Deutschland nie Fuß gefasst. Dr. Stefan Scheller von Siemens Healthcare machte den G-BA, das IQWIG und die Kassen dafür verantwortlich, weil sie die teure Therapie nicht bezahlen wollen. Andererseits: Welche Klinik kann sich ein 120 Millionen Euro teures Bestrahlungsgerät leisten, ohne den Nutzen wirklich zu kennen?

Tatsächlich lagen bis dato keine aussagekräftigen Daten vor, die den Mehrwert gegenüber der herkömmlichen Strahlentherapie belegt hätten. Inzwischen deuten Daten aus den USA sogar auf das Gegenteil hin. Für Otmar Wiestler ist die Partikeltherapie ein Beispiel, aus dem man lernen kann. Klinische Partner und die öffentliche Hand mit ins Boot holen, fünf Jahre testen und dann klare Daten auf den Tisch legen. So könne Translation funktionieren. 

Hauptkategorien: Berlin , Medizin

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