Warum die Grippe bei älteren Menschen länger dauert
Ältere Menschen erkranken nicht nur häufiger an Grippe als jüngere. Sie haben auch länger mit den Symptomen zu kämpfen. Bislang gingen Wissenschaftler davon aus, dass dieses Phänomen auf einer geschwächten Immunantwort beruht, die der Infektion bessere Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Doch nun haben Forscher des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig eine andere mögliche Ursache gefunden: Das Grippevirus vermehrt sich demnach in älteren Menschen so langsam, dass ihr Immunsystem die Erkrankung zu spät erkennt.
Bei Älteren ist die Abwehrreaktion verlangsamt
Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, haben die Infektionsforscher zusammen mit Kollegen aus den USA ein mathematisches Modell aufgestellt. Das Modell zeigt, dass eine Verschiebung im Gleichgewicht der Botenstoffe des Immunsystems in älteren Menschen jene Zellen verändert, die dem Virus als Wirt dienen. So konnten die Wissenschaftler beobachten, dass sich etwa Epithelzellen der Lunge unter dem Einfluss bestimmter Botenstoffe - sogenannter Zytokine - verändern und gegen das Virus resistenter werden als die Wirtszellen jüngerer Menschen.
Dadurch vermehrt sich den Wissenschaftlern zufolge das Virus in älteren Menschen langsamer und entsprechend verlangsamt ist auch ihre Immunantwort. „Was zunächst paradox klingt, ergibt bei genauerer Betrachtung Sinn: Nur wenn eine gewisse Reizschwelle überschritten wird, schreitet die Immunabwehr mit ganzer Kraft ein und bekämpft die Erkrankung zügig“, sagt Prof. Michael Meyer-Hermann, Leiter der Abteilung System-Immunologie des HZI. Anderenfalls bleibe die Infektion bestehen. „Um schnell wieder gesund zu werden, muss man also zunächst schwerer erkranken“, so Meyer-Hermann.
In den ersten 24 Stunden „verschläft“ das Immunsystem die Grippe-Infektion
Zytokine, die Wirtszellen so verändern, dass sich die Vermehrung der Viren verlangsamt, liegen bei älteren Menschen in einer höheren Grundkonzentration vor. Wissenschaftler bezeichnen das Phänomen als „Inflammaging“. Der Begriff setzt sich aus den englischen Bezeichnungen für Entzündung und Alterung zurück (Inflammation und Aging). Den größten Unterschied der Zytokin-Pegel zwischen den verschiedenen Altersklassen haben die Forscher in den ersten 24 Stunden nach der Infektion beobachtet. „Die späteren Unterschiede sind im Wesentlichen eine Auswirkung dieser frühen Unterschiede“, erklärt Sebastian Binder aus der Abteilung System-Immunologie des HZI. Die Ergebnisse haben die HZI-Forscher kürzlich im Journal of Virology veröffentlicht.
Foto: © HZI / Rohde