"Vorhofflimmern und Schlaganfall sind untrennbar miteinander verknüpft"

Prof. Dr. Heinz Voeller
Herr Professor Völler, schätzungsweise ein bis zwei Prozent der deutschen Bevölkerung leiden an Vorhofflimmern. Das entspricht mindestens einer halben Million Menschen. Welche Gruppe ist besonders betroffen?
Völler: Ganz klar Menschen über 65 Jahre. In dieser Altersgruppe ist jeder zehnte von Vorhofflimmern betroffen.
Warum trifft Vorhofflimmern den einen, den anderen aber nicht?
Völler: Neben dem Alter gibt es weitere Risikofaktoren. Dazu gehören Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes mellitus und übermäßiger Alkoholkonsum. Frauen haben außerdem ein höheres Risiko als Männer. Der so genannte CHA2DS2-VASc-Score fragt genau diese Parameter ab und dient uns dazu, das Risiko für Vorhofflimmern und Schlaganfall abzuschätzen. Davon abgesehen können auch bestehende Herzerkrankungen wie koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz oder Herzklappenerkrankungen, aber auch eine Schilddrüsenüberfunktion Vorhofflimmern auslösen.
Sie haben eben schon einen ganz wesentlichen Punkt genannt: den Schlaganfall
Völler: Ja, Vorhofflimmern und Schlaganfall sind untrennbar miteinander verknüpft. Wer Vorhofflimmern hat, hat je nach Alter ein drei bis fünffach erhöhtes Schlaganfall-Risiko. De facto bedeutet das: Bei mindestens einem Drittel, wenn nicht gar bei der Hälfte aller Schlaganfallpatienten liegt ein Vorhofflimmern vor. Das spricht eine eindeutige Sprache.
Vorhofflimmern tritt häufig spontan auf und verschwindet dann wieder. Wie hoch ist bei solchen Spontanereignissen das Risiko für einen Schlaganfall?
Völler: Genauso hoch wie bei persistierendem, also dauerhaftem Vorhofflimmern, das wissen wir aus zahlreichen Studien. Deshalb ist eine frühe Diagnostik und Therapie so wichtig. Bei Risikopatienten sollten daher regelmäßig der Puls kontrolliert und öfter mal ein EKG geschrieben werden. Mit diesen simplen Maßnahmen lässt sich Vorhofflimmern rechtzeitig entdecken.
Rechtzeitig, bevor ein Schlaganfall passiert?
Völler: Nicht nur das. Sehen Sie, Vorhofflimmern tritt zunächst anfallsartig auf und macht nur unspezifische Symptome. Deswegen bemerken viele Patienten die Herzrhythmusstörung oft lange nicht. Das kann sich über viele Jahre hinziehen, wobei der linke Vorhof mit der Zeit immer größer wird. Irgendwann wird die Herzrhythmusstörung dann permanent und manifest. Die Chance, das Herz nach so vielen Jahren mit Medikamenten oder der Kardioversion – einer Art Elektroschock – wieder in den richtigen Rhythmus zu bringen, wird dann immer geringer.
Und die Patienten sind ihr Leben lang auf Medikamente angewiesen?
Völler: So ist es. Bei anfallsweisem oder persistierendem Vorhofflimmern ist auf jeden Fall eine Antikoagulation mit Blutgerinnungshemmern angezeigt.
Vor wenigen Jahren haben die klassischen Vitamin-K-Antagonisten wie Marcumar Konkurrenz bekommen. Anfangs gab es viel Wirbel um die neuen Mittel. Was weiß man inzwischen um deren Effekte?
Völler: Dabigatran und die sogenannten Faktor Xa-Inhibitoren wie Rivaroxaban oder Apixaban sind hoch wirksam und haben viele praktische Vorteile. Aus meiner Sicht werden die neuen Medikamente aber etwas zu sorglos verschrieben, gerade weil ihre Handhabung so unkompliziert ist. Ein Arzt sollte aber genau abwägen, welchen Patienten er vor sich hat.
Was meinen Sie mit zu sorglos verschrieben?
Völler: Eine Tablette pro Tag kann einfach nicht für alle Patienten hinhauen. Da muss ich schon differenzieren. Bei einer sehr schmächtigen, älteren Patientin mit eingeschränkter Nierenfunktion werde ich die Dosis sicher reduzieren müssen. Und wenn ich einen Patienten mit Neigung zu Magenblutungen vor mir habe, steige ich vielleicht doch besser auf einen Vitamin-K-Antagonisten um. Wir wissen nämlich, dass die neuen Mittel zwar weniger Hirnblutungen, aber mehr Magen-Darm-Blutungen verursachen können.
Ein Vorteil der neuen Mittel gegenüber Marcumar und Co. ist, dass die Dosierung wesentlich einfacher ist und die lästige, ständige Blutkontrolle entfällt.
Völler: Das stimmt schon. Dieser Vorteil kann aber dann zum Nachteil werden, wenn Patienten mit der Einnahme schludern. Wenn Sie alle drei Wochen die Blutwerte kontrollieren, sehen Sie, wie es um die Therapietreue Ihrer Patienten steht. Insofern hat so eine Kontrolle auch Vorteile. Denn was nützt die beste Antikoagulation, wenn sie nicht eingenommen wird? Therapietreue ist etwas ganz Wesentliches, wenn es um die Prävention von Schlaganfällen geht. Deshalb gehören die Patienten, denen Sie einen Blutgerinnungshemmer der neuen Generation verschreiben, genauso gut aufgeklärt wie jeder Marcumar-Patient.
Aber ihre eigentliche Aufgabe, nämlich die Vermeidung von Schlaganfällen, erfüllen die neuen Blutgerinnungshemmer genauso zuverlässig wie die alten?
Völler: Auf jeden Fall. Rein statistisch sogar noch etwas besser, wie wir inzwischen wissen.
Prof. Dr. Heinz Völler ist Ärztlicher Direktor der „Klinik am See“, Rehabilitationsklinik für Innere Medizin in Rüdersdorf sowie Professor für Rehabilitationswissenschaften an der Universität Potsdam.