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„Vitamin D erhöht Wahrscheinlichkeit, eine Krebserkrankung zu überleben“

Montag, 20. Juni 2022 – Autor:
Wissenschaftler von Deutschen Krebsforschungszentrum plädieren dafür, Lebensmittel systematisch mit Vitamin D anzureichern. Ihre Modellrechnungen zeigen, dass sich durch den Zusatz rund 130.000 krebsbedingte Todesfälle in Europa verhindern ließen.
Vitamin-D in Nahrungsmitteln könnte tausende krebsbedingte Todesfälle verhindern, sagen Krebsforscher aus Heidelberg

Vitamin-D in Nahrungsmitteln könnte tausende krebsbedingte Todesfälle verhindern, sagen Krebsforscher aus Heidelberg – Foto: © Adobe Stock/ js-foto

Vitamin-D gilt als Booster fürs Immunsystem. Dass das Vitamin hilft, die Krebssterblichkeit zu senken, das zeigen jetzt Wissenschaftler von Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in einer neuen Arbeit auf. Die Forscher hatten ermittelt, dass in 34 europäischen Ländern Lebensmittel mit Vitamin-D angereichert werden und dadurch etwa 27.000 Krebstote pro Jahr verhindert werden. Würden alle Länder Lebensmittel mit angemessenen Mengen Vitamin D anreichern, könnten nach den Modellrechnungen etwa 130.000 aller Krebstodesfälle in Europa verhindert werden. Das würde etwa neun Prozent entsprechen. Die Krebsforscher plädieren darum dafür, Lebensmittel systematisch mit Vitamin D anzureichern.

Allerdings würden durch den Vitamin-D-Zusatz vermutlich nicht Krebserkrankungen per se verhindert, sagt Tobias Niedermaier, Mitarbeiter der Studie, sondern lediglich die Krebstodesfälle. Was hinter diesem Unterschied steckt, erläutert der Krebsforscher im Interview.

Was weiß man denn über den Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Versorgung und Krebs? Wie wirkt Vitamin D dagegen?

Niedermaier: Vitamin D senkt nicht das Krebserkrankungsrisiko, aber es verringert das Risiko, an einer Krebserkrankung zu versterben. Es hat vielfältige Effekte auf das Immunsystem und grundsätzlich eine immunmodulierende Wirkung. Es unterdrückt krebsfördernde Faktoren, sogenannte Onkogene und chronische Entzündungsreaktionen. Die Annahme ist, dass durch die vielfältigen Effekte von Vitamin D auf das gesamte Immunsystem und insbesondere auf Krebszellen die Wahrscheinlichkeit steigt, eine Krebserkrankung zu überleben. Immer ergänzend zu den etablierten Therapien, keineswegs als Ersatz.

Das Immunsystem spielt doch auch eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, Krebszellen, die ja täglich in unserem Körper entstehen, zu eliminieren. Unterstützt Vitamin-D das Immunsystem nicht in diesem täglichen Kampf und wirkt in diesem Sinne präventiv?

Niedermaier: Das ist nicht auszuschließen, aber es gibt nicht ausreichend Daten, die für eine Senkung des Krebsrisikos durch Vitamin-D-Gabe sprechen. Es gibt allerdings plausible Gründe anzunehmen, dass eine Senkung des Krebsrisikos, selbst wenn es sie gibt, von bisherigen Studien gar nicht gefunden werden konnte. Dazu gehört beispielsweise, dass die Vergleichsgruppen oftmals ebenfalls Vitamin D eingenommen haben oder auch, dass Vitamin D in der falschen Form gegeben wurde, etwa in unzureichender Dosis oder monatlich in sehr hohen Dosen anstatt in täglichen geringen Dosen.

Was war die Basis Ihrer Untersuchungen?

Niedermaier: Der Grundstein war eine Meta-Analyse von randomisierten Studien, wonach etwa die Gabe von Vitamin D in Tablettenform in der Dosierung von 400 internationalen Einheiten am Tag die Krebsmortalität um elf Prozent senkt.

Aber es sind doch nicht alle Studien zu diesen elf Prozent gekommen?

Niedermaier: Nein. Bei der Studie mit 800 Einheiten pro Tag waren es beispielsweise 15 Prozent, bei der mit 2000 Einheiten pro Tag 17 Prozent. Tendenziell ging die Krebssterblichkeit also stärker zurück in den Studien mit höheren täglichen Dosen. 400 Einheiten sind die Größe, die man realistischerweise erreichen könnte mit der Anreicherung von Lebensmitteln.

In den Studien wurden Präparate gegeben, warum plädieren Sie für eine Vitamin-D-Anreicherung von Lebensmitteln?

Niedermaier: Ich hatte kurz zuvor mit Kollegen eine Studie veröffentlicht, für die wir uns mit Literatur zum Thema Anreicherung und Serumspiegel beschäftigt hatten. Die Frage war: Wenn angereicherte Lebensmittel gegessen werden, um wieviel erhöht sich der Serumspiegel an Vitamin D? Wir fanden heraus, dass die Spanne des Serumanstiegs praktisch identisch war mit dem Serumanstieg aus den Studien, die 400 Einheiten am Tag in Tablettenform verabreichten. Unser Schluss: Bei adäquater Vitamin-D-Anreicherung von Lebensmitteln kann man ähnliche Serumanstiege erreichen wie durch die Gabe von Vitaminpräparaten.

Aber ist das Anreichern von Lebensmitteln darum der bessere Weg?

Niedermaier: Nur eine Minderheit in der Bevölkerung nimmt Vitamin-D-Tabletten ein. Bei Anreicherung von Lebensmitteln würden die Menschen fast automatisch aus ihrem Vitamin-D-Mangel herauskommen. So ähnlich wie jodiertes Speisesalz längst alltäglich ist und den früher weit verbreiteten Jodmangel und seine Folgen stark eingedämmt hat. Es wäre ein einfacherer, kostengünstigerer und wirkungsvoller Weg, die Vitamin-D-Spiegel in der Bevölkerung zu verbessern.

In ein Fertigprodukt etwas hineinzugeben, ist leicht. Aber wenn ich mich bewusst gesund ernähre, streue ich doch nicht Vitamin D auf meinen Brokkoli.

Niedermaier: Das ist richtig. Aber man kann eine Reihe von Lebensmitteln anreichern, die absolute Grundnahrungsmittel sind, die jeder konsumiert oder konsumieren sollte: Orangensaft, Brot, Milch, Joghurt, Hafermilch, Cerealien… Es ist nicht so, dass man alles anreichern kann, weil auch durch die Verarbeitung und Zubereitung Vitamin D verloren geht. Aber die Spanne geeigneter Lebensmittel ist groß genug, um jede und jeden zu erreichen.

In der Pressemitteilung werden die USA, Kanada und Finnland als Beispielländer genannt, wo das bereits gemacht wird. Sind das „die“ drei oder wie verbreitet ist das Anreichern?

Niedermaier: In Europa ist es nicht besonders weit verbreitet. Die einzigen Länder, die nennenswert anreichern, sind Finnland und das Vereinigte Königreich, in geringerem Maße noch Island und Schweden. Davon abgesehen gibt es kein Land, das systematisch anreichern würde.

Welche Schlüsse konnten Sie dort ziehen, wo Vitamin D der Nahrung zugesetzt wurde?

Niedermaier: Es gibt eine Studie, die die Serumspiegel in Finnland von 2000 und 2011 verglichen hat. Von den 6000 Finninnen und Finnen in der Studie hatten im Jahr 2000 gerade einmal 44 Prozent eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung mit Serumspiegeln über 50 Nanomol pro Liter. Seit 2003 werden dort systematisch Milch, Milchprodukte, Margarine, Orangensaft und Cerealien mit Vitamin D angereichert. Und 2011 waren dann über 90 Prozent ausreichend mit Vitamin D versorgt. Das zeigt: Selbst in einem Land mit langen, dunklen Wintern kann die Anreicherung von Lebensmitteln mit Vitamin D die Verbreitung eines Mangels stark eindämmen. Es ist gut belegt, dass Anreicherung wirksam ist.

Haben Sie auch entsprechende Werte für Deutschland?

Niedermaier: Es gibt dazu eine Studie des Robert-Koch-Instituts mit einer repräsentativen Gruppe der Bevölkerung über die Jahreszeiten hinweg. Mangelhaft versorgt waren ungefähr 30 Prozent, suboptimal versorgt weitere 31 Prozent. Ausreichend versorgt waren 38 Prozent, jeweils im Jahresschnitt. Das schwankt natürlich, im Winter sind um die 50 Prozent mangelhaft und weniger als 20 Prozent ausreichend versorgt. Bei der Vitamin-D-Versorgung ist in Deutschland also noch viel Luft nach oben.

Für Menschen ist Sonnenlicht die Hauptquelle für die Vitamin D-Produktion, in der Nahrung kommt gar nicht so viel vor…

Niedermaier: Genau. Das Problem ist, dass der Großteil der Bevölkerung in Deutschland übers Jahr gesehen einen Vitamin-D-Mangel aufweist oder zumindest eine suboptimale Versorgung. Weil im Winter die Sonneneinstrahlung nicht intensiv genug ist und man sich im Sommer auch vor der Sonneneinstrahlung schützen sollte. Die goldene Mitte ist richtig. Wenn man es übers Sonnenlicht versucht, sollten möglichst viele Teile des Körpers dem Sonnenlicht exponiert sein, aber nicht zu lange, um Sonnenbrände zu vermeiden. Die Dauer schwankt je nach Hauttyp und Jahreszeit, das lässt sich nicht pauschal sagen.

Sie sagten, je mehr Vitamin D gegeben wurde, desto besser waren die Ergebnisse…

Niedermaier: Ich würde davon ausgehen, dass mit 400 Einheiten pro Tag das Potenzial noch nicht ausgeschöpft ist. Wenn jemand 400 Einheiten pro Tag über Lebensmittel zuführt, eben auch systematisch angereicherte, ist immer noch Potenzial für einige Prozentpunkte zusätzliche Mortalitätsreduktion, wenn man zum Beispiel weitere 1000 Einheiten pro Tag über Tabletten zu sich nimmt.

Besteht die Gefahr einer Überdosierung?

Niedermaier: Man sollte es natürlich nicht übertreiben. Bis 4000 Einheiten am Tag gelten als sicher. Mit Sonnenlicht kann man sich nicht überdosieren, der Körper stellt die Produktion bei hoher Exposition rechtzeitig ein. Eine Überdosis durch Nahrungsergänzungsmittel ist theoretisch möglich. Praktisch passiert das vielleicht in einer Handvoll Fälle pro Jahr. Es gibt sehr hoch angereicherte Präparate, 20.000 Einheiten in einer Kapsel. Die Empfehlung ist dann, eine dieser Kapseln alle 20 Tage zu nehmen. Wenn man eine solche Kapsel – oder gar mehrere – pro Tag nimmt, ist es gut möglich, dass man Probleme bekommt. Zu viel Vitamin D führt zu einem zu hohen Kalziumspiegel im Blut, das kann auch sehr gefährlich werden. Wichtig ist festzuhalten: Durch die Anreicherung von Lebensmitteln in den üblichen Mengen ist keine Überdosierung zu befürchten.

Hauptkategorien: Medizin , Gesundheitspolitik
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