Viren statt Antibiotika: Berliner Forscher nehmen Bakteriophagen ins Visier
Antibiotikaresistenzen sind zu einer weltweiten Bedrohung geworden. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben weltweit jedes Jahr rund 700.000 Menschen, weil Antibiotika nicht mehr wirken. Knapp zwei Jahre nach Veröffentlichung ihres Aktionsplans gegen die „globale Gesundheitskrise“ stellte die WHO im März nun eine Liste mit Problemkeimen auf, für die am dringendsten neue Antibiotika benötigt werden. Doch die Suche nach neuen Antibiotika gestaltet sich äußerst schwierig. Vor 40 Jahren kam zum letzten Mal eine neue Substanz gegen gram-positive Bakterien auf den Markt, bei gram-negativen ist es sogar schon 60 Jahre her.
Bakterienfressende Viren könnten Antibiotikatherapie ergänzen
Darum suchen Forscher verstärkt nach Alternativen zu Antibiotika. Eine solche Alternative könnten Phagen sein. Das sind in der Natur vorkommende Viren, die einzelne Bakterien angreifen und fressen. Wissenschaftler sprechen darum auch von „Bakteriophagen“. Da es für jedes Bakterium einen speziellen Phagen gibt, scheinen sie sogar gezielter einsetzbar zu sein als Antibiotika, die immer auch die guten Bakterien töten.
In Osteuropa wurde bereits viel mit Bakteriophagen experimentiert. In den USA werden die Bakterienfresser inzwischen genetisch so manipuliert, dass sie in der Lage sind, Mäuse von Infektionen mit multiresistenten Keimen zu heilen. Was man bislang nicht weiß, ist, ob das ganz auch im Menschen funktioniert. Klinische Studien stehen noch aus.
Auch die bakterienfressenden Phagen selbst sind bislang noch nicht komplett erforscht. Im Zuge der aktuellen Therapieentwicklung wäre es allerdings enorm wichtig zu wissen, wie die Phagen genau operieren und wie ihre 3D-Struktur im atomaren Detail aussieht.
Bucher Methode liefert wichtige Grundlagen für die Phagentherapie
Prof. Dr. Adam Lange und seine Arbeitsgruppe vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) in Berlin Buch haben deshalb die Festkörper-NMR-Methoden (Kernspinresonanzspektroskopie) so weiterentwickelt, dass sich die Struktur der Phagen bis ins atomare Detail aufklären lässt. Die neue Methode gilt als Meilenstein, da sie auch auf andere wichtige Systeme angewendet werden kann. Etwa ein Jahr, schätzt Lange, wird er brauchen, um die komplexe Struktur der Phagen aufzuklären. „Bakteriophagen werden aufgrund der Antibiotikaresistenz vieler pathogener Bakterienstämme als alternativer therapeutischer Ansatz immer wichtiger“, sagt der Spezialist für die NMR-basierte Sichtbarmachung von Proteinstrukturen. „Darum werden wir unsere technische Weiterentwicklung jetzt nutzen, um deren komplexe Struktur so schnell wie möglich aufzuklären.“
Die Arbeit der Berliner Grundlagenforscher ist jetzt im Fachmagazin „Angewandte Chemie“ und ein ausführliches Protokoll in „Nature Protocols“ erschienen.
Visualisierung: Barth van Rossum, FMP