Viele junge Ärzte leiden unter Depressionen
Zeitdruck, strenge Hierarchien, körperliche Belastungen, Schlafmangel und ein hoher Anspruch an sich selbst – das alles kann Ärzten, insbesondere in Krankenhäusern, zusetzen, und das offenbar so sehr, dass nicht wenige psychisch krank werden. Viele von ihnen greifen auch zu Suchtmitteln. Vor allem die ersten Jahre der klinischen Ausbildung sind für Ärzte offenbar eine schwierige Phase. Das hat eine Meta-Analyse von Forschern um Douglas Mata vom Brigham and Women's Hospital in Boston ergeben. Je nach Studie zeigte sich, dass zwischen 21 und 43 Prozent aller Nachwuchsärzte unter depressiven Symptomen leiden; insgesamt waren es 29 Prozent. Und den Wissenschaftlern zufolge hat sich diese Problematik in den letzten Jahren noch verschärft.
Suizidrate bei Ärzten höher als in der Allgemeinbevölkerung
Die untersuchten 54 Studien waren zwischen Januar 1963 und September 2015 publiziert worden. Insgesamt waren 17.560 Nachwuchsärzte auf der ganzen Welt befragt worden. Da jedoch keine ärztliche Untersuchungen zur Sicherung der Diagnosen stattgefunden hatten, sind die Ergebnisse nach Angaben der Studienautoren mit Vorsicht zu betrachten; dennoch ergeben sie Hinweise über die Verbreitung von Depressionen unter Nachwuchsärzten. Die Ergebnisse ihrer Analyse veröffentlichten die Studienautoren im US-amerikanischen Ärzteblatt JAMA.
Dass tatsächlich gerade die Anfangsjahre als Mediziner zu psychischen Störungen führen können, zeigt der Anstieg der Prävalenz solcher Probleme um 15,8 Prozent zu Beginn der Ausbildungszeit. Aber auch insgesamt hat der Anteil der Ärzte mit depressiven Störungen im Verlauf der Jahre zugenommen, und zwar jedes Jahr um knapp ein Prozent. Schon frühere Studien hatten gezeigt, dass Ärzte eine höhere Suizidrate als die Allgemeinbevölkerung aufweisen. So ist die Selbsttötungsrate mehreren internationalen Studien zufolge 1,3- bis 3,4-fach höher, bei Ärztinnen sogar 2,5- bis 5,7-fach höher als bei anderen Personen mit vergleichbarem Hintergrund. Mediziner leiden im Vergleich mit anderen Berufsgruppen auch doppelt so häufig unter Suchtproblemen. Schätzungen zufolge werden 10 bis 15 Prozent aller Ärzte mindestens einmal im Leben abhängig – meist von Alkohol, Beruhigungstabletten oder Schmerzmitteln. Zudem sterben sie dreimal häufiger an einer alkoholbedingten Leberzirrhose als Angehörige anderer Berufsgruppen.
Ärzte suchen bei Depressionen selten Hilfe auf
Problematisch ist, dass viele Ärzte offenbar an den hohen Ansprüchen an sich selbst scheitern und zu selten Hilfe annehmen. Selbst bei Depressionen suchen sie nur selten einen Facharzt auf. Besonders in der Ausbildungsphase befürchten viele Mediziner offenbar Nachteile für sich, wenn in ihrer Personalakte der Vermerk einer psychischen Erkrankung auftaucht. Aber auch der Zeitmangel dürfte daran schuld sein, dass Ärzte lieber versuchen, sich selbst zu helfen. Nach Angaben des Editorialisten Thomas Schwenk von der University of Nevada School of Medicine in Reno könne aber auch eine Verkürzung der Arbeitszeiten allein das Problem nicht lösen. Seiner Meinung nach sollte vielmehr grundsätzlich über das System der Arztausbildung nachgedacht werden.
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