
„Ich seh‘ dich, aber fühl‘ dich nicht“: Sozialpsychologen der Universität Duisburg-Essen fanden heraus, dass Menschen sich innerlich entfernt fühlen, auch wenn sie sich gleichzeitig sehen und hören können. – Foto: Drazen
Seit Beginn der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 hat sich vieles geändert: Die Oma liest dem Enkel im Videoanruf etwas vor und die gesellige Runde trifft sich im abendlichen Online-Meeting. Das Lachen unserer Freundin auf dem Display sehen, ihre Stimme hören: Es ist, als stünde sie vor uns. Laut der in den 1970er-Jahren entwickelten „Propinquity-Theorie“ sollte unsere erlebte Nähe mit der Vielfalt der verwendeten Kanäle wachsen. Doch Sozialpsychologen der Universität Duisburg-Essen stellen jetzt diese vermeintlich gefestigte Theorie in Frage. Sie fanden heraus, dass wir uns in Pandemiezeiten nicht näher fühlen, selbst wenn unsere Kommunikation mehrere Sinne parallel anspricht.
„Die Wirkung von audiovisueller Kommunikation ist begrenzt“
„Die Wirkung von audiovisueller Kommunikation ist begrenzt“, sagt Sozialpsychologin Nicole Krämer, die Leiterin des Forschungsteams. „Die anderen bleiben auch gefühlt entfernt, selbst wenn wir sie sehen und hören können.“ Basis für diese Erkenntnisse waren mehrere Online-Befragungen während des ersten bundesweiten Lockdowns Deutschland im März und April 2020.
Spontane Kurzbotschaften unterstützen aber emotional
Trotzdem ist der „tele“-kommunikative Kontakt („tele“ = altgriechisch: „fern“) offenbar allemal besser als keiner. Spontane Nachrichten per SMS oder Messengerdienst seien authentische Botschaften, mit denen sich Menschen, die zu sozialer Distanz gezwungen seien, gegenseitig tatkräftig und emotional unterstützen könnten, so die Erkenntnis aus den Befragungen. „‚Du bist in Quarantäne?‘ ‚Was brauchst du aus dem Supermarkt?‘ als schnell abgesetzter Text, das lustige Video aufs Smartphone – all das vermittelt ein Gefühl von ‚Ich bin nicht bei dir, aber denke an dich‘“, berichten die Sozialpsychologen der Uni Duisburg-Essen.
Geplante Meetings erleben wir als unnatürlicher
„Per Nachricht tauschen wir uns schon lange mit Freunden und Familie aus – völlig unabhängig von Covid-19 und auch, wenn sie direkt nebenan wohnen“, beschreibt Sozialpsychologin Krämer einen möglichen Erklärungsansatz. „Der Videoanruf oder gar das terminierte Treffen per Online-Portal am Abend, das wirkt in dem Personenkreis dagegen unnatürlicher. Zudem setzen wir eine Nachricht spontan, zügig und damit regelmäßiger ab, wohingegen audiovisueller Kontakt in Echtzeit meist geplant wird.“
SMS und Chat: Gut zur psychologischen Pandemiebewältigung
In der Verbundenheit per Kurznachrichten sehen die Wissenschaftler ein maßgebliches Instrument zur psychologischen Pandemiebewältigung. „Insbesondere der Austausch per Nachricht führt dazu, dass wir uns besser fühlen und uns eher an die Maßnahmen zur Kontaktreduktion halten“, so Doktorand Jan Kluck, Erstautor der Studie. „Das ist ein erstaunliches Ergebnis.“