Verhindern Bettgitter Stürze? Pflegeexperten suchen nach Alternativen

Das Projekt Protect untersucht Wege zur Vermeidung von freiheitsentziehenden Maßnahmen in Krankenhäusern – Foto: © Adobe Stock/ japolia
Ob im Krankenhaus oder im Pflegeheim – Bettgitter sollen verhindern, dass vor allem alte und gebrechliche Patienten stürzen oder orientierungslos herumirren. Gleiches gilt für Stecktische an Rollstühlen und Fixiergurte. Zwar werden diese Hilfsmittel meist in guter Absicht eingesetzt, doch es handelt sich de facto um freiheitsentziehende Maßnahmen. Diese sogenannte FEMs werden nach wie vor häufig angewendet, aber zunehmend hinterfragt und kritisiert, insbesondere von Angehörigen.
Ob es alternative Strategien für die Krankenpflege gibt, untersucht nun die Studie „PROTECT“. An der randomisierten, kontrollierten Studie nehmen über sechs Monate sechs bis acht Krankenhäuser mit voraussichtlich 28 Stationen in der Region Halle-Leipzig teil. Federführend ist die Universitätsklinik Halle.
Bettgitter nicht so sicher, wie es scheint
Studienleiter Dr. Jens Abraham vom Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft der Universitätsmedizin Halle erklärt, dass viele Gefahren erst aufgrund des Einsatzes von FEM entstünden. Etwa durch Bettgitter. „Dass diese Maßnahme wirksam und sicher ist, erscheint aus wissenschaftlicher Sicht sehr unwahrscheinlich“, sagt der gelernte Gesundheits- und Krankenpfleger. Tatsächlich ereigneten sich nicht mehr Stürze, wenn ein Bettgitter weggelassen werde und andere Maßnahmen ergriffen würden. „Tendenziell passieren sogar schwerere Unfälle, weil beispielsweise Patientinnen und Patienten über das Bettgitter klettern und damit aus größerer Höhe fallen“, so Abraham. „Hinzukommt, dass sich Pflegende und ärztliches Personal im Klaren sein müssen, was Freiheitsentzug bedeutet und dass dies auch eine ethische Fragestellung ist.“
Evidenzbasierte Konzepte für die Krankenpflege
Protect baut auf einer vorhergehenden Studie „Marah“ auf und will nun alternative Konzepte mit FEM vergleichen. Dabei wird auf der einen Hälfte der Stationen das Interventionsprogramm durchgeführt, die andere Hälfte behält die übliche Versorgung als Kontrolle bei. „Ziel ist es, daraus ein evidenzbasiertes Konzept für das Weglassen von FEM und den Einsatz von alternativen Strategien zu entwickeln“, so Abraham. Erprobt werden etwa Sturzmatten, Mobilitätshilfen oder Niedrigbetten, aber auch veränderte Abläufe wie reduzierte nächtliche Kontrollgänge bei ausgeschaltetem Licht, um das Aufwachen und damit eine mögliche Desorientierung der Patienten zu verringern.
„Es ist ein patientenorientierter Ansatz, der aber auf Erkenntnissen der Pflegeforschung basiert und – so hoffen wir, zeigen zu können – pflegerische Maßnahmen für alle Beteiligten nachhaltig positiv verändern kann“, so Abraham.
Die alternativen Konzepte beinhalten nicht nur den Einsatz neuer Hilfsmittel, sondern setzen auch eine Veränderung der eingespielten Abläufe voraus. „Deswegen sind wissenschaftliche Belege wichtig“, so Pflegeexperte Abraham. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt über drei Jahre mit rund 580.000 Euro.