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Valsartan: Wie die Arzneimittelkommission das Krebs-Risiko einschätzt

Donnerstag, 2. August 2018 – Autor:
Valsartan-haltige Präparate regulieren den Blutdruck. Nun wurden zahreiche Chargen zurückgerufen, weil sie möglicherweise krebserregendes NDMA enthalten. Wie die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker das Krebs-Risiko einschätzt.
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Die mit einem krebserregenden Stoff verunreinigten Blutdrucksenker sollten gegen ein anderes Präparat ausgetauscht werden – Foto: ©Keith Young - stock.adobe.com

Im Juli 2018 wurden Valsartan-haltige Präparate verschiedener Hersteller zurückgerufen, weil sie möglicherweise mit Dimethyl-N-Nitrosamin (NDMA) verunreinigt sind. NDMA kann Krebs erzeugen. Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) hat in einer vorläufigen Stellungnahme das Krebs-Risiko eingeschätzt.

Valsartan ist ein Blutdrucksenker und wird bei Bluthochdruck, Herzschwäche oder nach Herzinfarkt verordnet. Das NDMA geriet vermutlich durch ein 2012 verändertes Produktionsverfahren beim chinesischen Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical in das Medikament. Verunreinigt sind nur die Präparate der 17 Pharmafirmen, die den Wirkstoff bei diesem Produzenten bezogen - siehe untenstehende Liste.

16 Präparate stichprobenartig im Labor getestet

Bislang war nicht bekannt, ob und wenn ja in welcher Menge NDMA in den entsprechenden Fertigarzneimitteln enthalten ist. Das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) lieferte dazu nun erstmals Zahlen: Überprüft wurden stichprobenartig 16 Präparate. In acht davon wurde NDMA gefunden - und zwar zwischen 3,7 und 22,0 μg pro Tablette. In Produkten, die nicht vom Rückruf betroffen waren, wurde kein NDMA nachgewiesen.

Dass NDMA krebserzeugend ist, wurde bereits in diversen Tierversuchen bewiesen. Durch die Gabe des N-Nitrosamins bildeteten sich Tumore in Leber, Niere, Lunge oder Blutgefäßen. Die toxische Wirkung ist so stark, dass keine Schwellendosis angegeben werden kann, unter der sich keine krebsfördernde Wirkung ergibt, heißt es weiter in dem Bericht der AMK. Bereits kleinste Mengen können krebsauslösend wirken, in einem dosisgemäß geringen Ausmaß.

ALARA-Prinzip: So wenig als möglich aufnehmen

Daher wird für solche Stoffe keine maximale, hinnehmbare tägliche Aufnahme (TDI/tolerable daily intake) bestimmt. Vielmehr sollte die Exposition nach dem ALARA-Prinzip minimiert werden. Das bedeutet, "As LowAs Reasonably Achievable", so wenig wie irgend möglich aufzunehmen.

Allerdings enthalten auch bestimmte Nahrungsmittel NDMA. Bei gepökeltem Fleisch kann der NDMA-Gehalt bei bis zu 2,5 μg/kg liegen, bei Bier bis 0,5 μg/kg. Insgesamt wird die tägliche NDMA-Belastung durch die Nahrung auf 0,19 - 0,34 μg für einen Erwachsenen geschätzt. Das entspricht bei einem Erwachsenen mit 60 kg Körpergewicht 3 - 6 ng/kg Körpergewicht/Tag.

Maximale Dosis pro kg Körpergewicht und Tag

Da es beim ALARA-Prinzip keine Vergleichswerte gibt, hat die AMK ein weiteres Messverfahren eingesetzt, den Margin of Exposure (MoE), also das Verhältnis zwischen der Dosis, bei der man eine kleine, jedoch messbare negative Auswirkung erstmalig feststellt, und dem Expositionsniveau der Substanz bei Mensch oder Tier. Als krebserregend gilt die Dosis, die im Tierversuch bei 10 Prozent der Tiere Tumoren auslöst.

Das Limit liegt bei NDMA bei 62 bis 81 μg/kg Körpergewicht/Tag und maximal 6 ng/kg Körpergewicht/Tag. Dieser MoE kann noch als "may be of low concern" eingestuft werden. Im Vergleich hierzu kann durch die Einnahme einer kontaminierten Valsartan-Tablette eine tägliche Belastung von bis zu 22 μg NDMA, das heißt von bis zu 370 ng/kg Köpergewicht/Tag erfolgen.

Wie die Arzneimittelkommission das Krebs-Risiko einschätzt

In ihrem Fazit schätzt die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker das Krebs-Risiko durch die Einnahme von NDMA nicht in konkreten Zahlen ein, gibt aber eine eindeutige Empfehlung: In den vom Rückruf betroffenen Valsartan-haltigen Medikamenten wurde das kanzerogene NDMA in einer Menge von 3,7 bis 22 μg/Tablette nachgewiesen. Anhand der Abschätzung der maximalen täglichen Belastung lässt sich ein MoE von etwa 170 berechnen. Dieser ist als besorgniserregend einzustufen. Im Sinne der Patientensicherheit ist eine weitere Exposition unbedingt zu verhindern. Die Exposition erhöht und der MoE verringert sich bei Einnahme von täglich 2 Tabletten.

EMA rechnet mit einem zusätzlichen Krebsfall pro 5.000 Krebspatienten

Inzwischen hat auch die europäische Arzneimittelbehörde EMA eine Prognose abgegeben: Bei Patienten, die 7 Jahre lang täglich die höchste Valsartan-Dosis (320 mg) eingenommen haben, rechnet sie mit einem zusätzlichen Krebsfall pro 5.000 Krebserkrankungen.

Kardiologe rät: Medikament mit Arzt-Begleitung absetzen

Der Kardiologe Prof. Thomas Meinertz, ehemaliger Vorstand der Herzstiftung, rät Patienten, die betroffenen Präparate sofort abzusetzen - allerdings ausdrücklich nur mit ärztlicher Unterstützung. Ärzte sollten ihren Patenten entweder ein unbelastetes Valsartanpräparat, ein anderes Sartan oder einen ganz anderen Blutdrucksenker verordnen. Das erklärte der Mediziner im ZDF-Morgenmagazin.

Er kritisierte, dass es offenbar keine wirksamen Kontrollen gegeben habe, so dass die Verunreinigungen so lange unentdeckt blieben. Die zuständigen Landesbehörden seien damit anscheinend überfordert. Meinertz plädierte dafür, dass eine Bundesbehörde die Einfuhr solcher Substanzen künftig stichprobenhaft untersucht.

Liste der zurückgerufenen Valsartan-Präparate

Auflistung der bereits über die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker veröffentlichten Chargenrückrufe und Rückrufe zu Valsartan-haltigen Arzneimitteln. Stand: 11. Juli 2018.

Valsartan - 1 A Pharma 40, 80, 160 und 320 mg, 28, 56 und 98 Filmtabletten, Valsartan - 1 A Pharma plus 80/12,5, 160/12,5, 160/25, 320/12,5 und 320 mg/25 mg, 28, 56 und 98 Filmtabletten

Valsartan AAA 40, 80, 160 und 320 mg, alle Packungsgrößen, Filmtabletten

Valsargamma 80 mg, alle Packungsgrößen, Filmtabletten (Ergänzung)

Valsartan AbZ 40, 80, 120, 160, 320 mg, Valsartan comp. AbZ 80/12,5, 160/12,5, 160/25, 320/12,5, 320 mg/25 mg, Valsartan CT 120, 160 mg, Valsartan comp.-CT 80/12,5, 160/12,5, 160/25 und 320 mg/25 mg, Filmtabletten

Valsartan-Actavis 80 mg, 28 Filmtabletten, Valsartan-Actavis 320 mg, 28, 56 und 98 Filmtabletten

Valsartan AL 40 mg, 28 Filmtabletten, Valsartan AL 80, 160 und 320 mg, 98 Filmtabletten, Valsartan/HCT AL 160/12,5, 160/25, 320 mg/25 mg, 98 Filmtabletten

Valsartan AL 40 mg, 28 Filmtabletten (Ergänzung)

Valsartan comp Basics 80/12,5, 160/12,5 und 160 mg/25 mg, 28, 56 und 98 Filmtabletten

Valsartan Dexcel 80 und 160 mg, 98 Filmtabletten

Valsartan Hennig 40, 80, 160 und 320 mg, alle Packungsgrößen, Filmtabletten, Valsartan Hennig plus HCT 80/12,5, 160/12,5, 160/25, 320/12,5 und 320 mg/25 mg, alle Packungsgrößen, Filmtabletten

Valsartan Heumann 40, 80, 160 und 320 mg, 28, 56 und 98 Filmtabletten

Valsartan Hexal® 40 mg, 28 Filmtabletten, Valsartan Hexal® 80, 160 und 320 mg, 28, 56 und 98 Filmtabletten, Valsartan Hexal® comp 80/12,5, 160/12,5, 160/25, 320/12,5 und 320 mg/25 mg, 28, 56 und 98 Filmtabletten

Valsartan-Hormosan comp 80/12,5, 160/12,5 und 160 mg/25 mg 28 und 98 Filmtabletten

Valsartan Puren, 40, 80, 160 und 320 mg, alle Packungsgrößen, Filmtabletten, Valsartan Puren 80/12,5, 160/12,5, 160/25, 320/12,5 und 320 mg/25 mg, alle Packungsgrößen, Filmtabletten

Valsartan-ratiopharm® 40, 80, 120, 160 und 320 mg, alle Packungsgrößen, Filmtabletten, Valsartan-ratiopharm® comp. 80/12,5, 160/12,5, 160/25, 320/12,5 und 320 mg/25 mg, alle Packungsgrößen, Filmtabletten

 Valsartan Stada 40, 80, 160 und 320 mg, 28, 56 und 98 Filmtabletten, Valsartan/HCT Stada 80/12,5, 160/12,5 und 320 mg/25 mg, 98 Filmtabletten, Valsartan/HCT Stada 160 mg/25 mg, 28 und 98 Filmtabletten

Valsartan Zentiva 40, 80, 160 und 320 mg, alle Packungsgrößen und Valsartan Zentiva comp. 80/12,5, 160/12,5, 160/25, 320/12,5 und 320 mg/25 mg, alle Packungsgrößen

Foto: Keith Young/fotolia.com

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