Urologen fordern mehr Toleranz gegenüber Intersexuellen
Bei intersexuellen Menschen ist das Geschlecht von Geburt an nicht eindeutig männlich oder weiblich - und zwar hinsichtlich der Chromosomen, der Keimdrüsen, der Hormonproduktion und/oder des äußeren Erscheinungsbildes. Intersexuelle, die auch als Hermaphroditen oder Zwitter bezeichnet werden, begreifen sich selbst in der Regel weder als krank noch als abnormal. Dennoch wird ihre Variante der Geschlechtsentwicklung im medizinischen Bereich als "Störung", nämlich als "Störung der sexuellen Differenzierung", kurz DSD ("disorder of sexual differentiation"), deklariert.
Für die Eltern ist es meist ein Schock, wenn sie kurz nach der Geburt erfahren, dass das Geschlecht ihres Kindes nicht eindeutig männlich oder weiblich ist. In der Vergangenheit wurde dann meist sehr schnell eine operative, oft durch Medikamente unterstützte Geschlechtsangleichung vorgenommen. Das soll sich nun ändern, wie Urologen in einer neuen Leitlinie fordern.
Intersexuelle leiden häufig nach Geschlechtsangleichung
Grund für das Umdenken ist die Tatsache, dass die Betroffenen später sehr oft unter der erzwungenen Geschlechtsangleichung leiden, und zwar psychisch und physisch. Häufig wird durch den Eingriff das sexuelle Empfinden vermindert oder völlig vernichtet, und bei vielen Intersexuellen kommt es durch die Entfernung von gesunden, hormonproduzierenden inneren Organen und die Gabe von körperfremden Hormonen zu gesundheitlichen Problemen sowie zur Zerstörung der Fortpflanzungsfähigkeit.
Ein Kernpunkt der neuen Leitlinie, die in Zusammenarbeit mit Selbshilfegruppen erarbeitet wurde, lautet, sich in Zukunft mit irreversiblen, operativen Maßnahmen kurz nach der Geburt zurückzuhalten. Für besonders wichtig halten es die Experten, zunächst die Eltern zu beruhigen, sie zu beraten und den Kontakt zu anderen Betroffenen herzustellen. Außer bei gesundheitlich unbedingt notwendigen Eingriffen soll bei Intersexualität mit allen künstlichen Veränderungen abgewartet werden, bis die Betroffenen selbst entscheiden können, mit welchem Geschlecht sie in Zukunft leben wollen.
Variationen zwischen männlich und weiblich
Der Gesetzgeber ist diesen Plänen bereits entgegengekommen: Seit Herbst 2013 können im Geburtenregister intersexuelle Kinder ohne Geschlechtsangabe eingetragen werden. Die betroffenen Kinder sollten möglichst früh, aber vor allem altersgerecht über ihre Situation aufgeklärt werden.
In Deutschland wird nach Schätzungen des Deutschen Ethikrates etwa eines von zehntausend Babys mit intersexueller Erscheinungsform geboren. Mehr Toleranz gegenüber den Betroffenen ist eines der Ziele der Leitlinie. Vor allem müssten sich die Ärzte von ihrer statischen Unterscheidung in rein männlich und rein weiblich lösen, so die Experten. Aber auch in der Gesellschaft seien Veränderungen nötig. Die Menschen sollten verstehen, dass es zwischen männlich und weiblich ein ganzes Spektrum an Variationen gebe und Intersexualität keine Krankheit sei. Zudem müsse der bisher geltende Gedanke, dass Kinder nur mit einer eindeutigen Anatomie glücklich aufwachsen könnten, neu überdacht werden.
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