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Unis bieten Therapieplätze für traumatisierte Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine an

Mittwoch, 16. März 2022 – Autor:
Auch wenn Flüchtlinge aus der Ukraine nach ihrer Ankunft in Deutschland vor Krieg und Gewalt in Sicherheit sind – und äußerlich unverletzt: Viele tragen die schrecklichen Erlebnisse weiter in sich und leiden an einer „Posttraumatischen Belastungsstörung“ (PTBS). Unter Federführung der Uni Frankfurt bieten vier Universitäten Therapieplätze für Betroffene an – bei Bedarf mit Dolmetscher.
Ukrainische Mutter hält ihre Tocher im Arm.

Frauen und Kinder: Sie stellen den Großteil der Flüchtlinge aus der Krieg in der Ukraine dar. Viele von ihnen sind durch die Erfahrungen von Kriegsgewalt und Flucht traumatisiert. – Foto: AdobeStock/Halfpoint

Es gibt Wunden, die sieht man nicht. Auch wenn die meisten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine äußerlich unbeschadet bei uns ankommen: Viele sind traumatisiert. Sirenengeheul, Raketeneinschläge, Nächte in Kellern und U-Bahn-Schächten, Verletzte, Tote, ausgebrannte Wohnungen. Alles außer einem Koffer mit Habseligkeiten mussten sie zurücklassen, die Frauen, Kinder und Alten, die derzeit auch nach Deutschland strömen: ihr Zuhause, persönliche Gegenstände, Männer, Brüder, Söhne, Freunde. Und keiner weiß, ob sie sie jemals lebend wiedersehen. Hinzu kommen traumatisierende Erlebnisse auf der Flucht in den Westen – Winterkälte, Hunger und Durst, Entwurzelung und Ungewissheit.

Trauma-Folgen: Albträume, Ängste, Schlafstörungen

Obwohl die Flüchtlinge körperlich jetzt in Sicherheit sind: Der Krieg hat sich in die Seelen vieler Menschen eingegraben. Auch weit weg von der Heimat können sie das Schreckliche nicht wirklich hinter sich lassen: „Es reist mit in Form von Albträumen, Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen, Schreckhaftigkeit, Angst und anderen intensiven negativen Gefühlen“, sagen Psychologen der Goethe-Universität Frankfurt. „Manche Betroffene durchleben das traumatisierende Ereignis in ihrem Inneren immer und immer wieder. Dies alles können Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sein.“

„Viele Geflüchtete benötigen dringend therapeutische Hilfe“

„Viele geflüchtete Menschen benötigen daher dringend psychotherapeutische Hilfe“, so die Einschätzung der Psychologen. „Die Barrieren, vorhandene Angebote wahrzunehmen, sind jedoch hoch.“ Weil es schon für Inländer in Deutschland oft ein Kampf sein kann, zeitnah einen Therapieplatz zu finden, hat die Universität Frankfurt auf die Notlage der Kriegsopfer mit einem Therapieangebot speziell für Ukraine-Flüchtlinge reagiert.

Kriegstraumatisierte: Behandlungsplätze an vier Uni-Standorten

Die Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Goethe-Universität bietet Betroffenen professionelle Hilfe an. Das Projekt zur Psychotherapie der Posttraumatischen Belastungsstörung wurde von der Universität Frankfurt initiiert und wir von ihr auch koordiniert. Behandlungsplätze stehen an vier deutschen Universitätsstandorten zur Verfügung. Neben Frankfurt sind dies Münster, Marburg und München.

Innovative Behandlungsform für Traumatisierte

Die Besonderheit des Behandlungsprojekts ist: Die Wissenschaftler bieten eine innovative Behandlungsform für traumatisierte geflüchtete Menschen an, die wissenschaftlich begleitet wird. Bei Bedarf wird die Behandlung dolmetschergestützt durchgeführt. Die Studie sieht für jeden Teilnehmer zehn Sitzungen von jeweils 100 Minuten Dauer innerhalb von zwölf Wochen vor. Eine Vergleichsgruppe erhält dieselbe Behandlung nach einer Wartezeit. Um die Wirksamkeit der neuen Vorgehensweise zu ermitteln, wird der Verlauf der Symptomatik in beiden Gruppen vor und nach der Behandlung sowie drei und zwölf Monate später mittels klinischer Interviews und Selbstbeurteilungsinstrumente erfasst.

An den vier bereits genannten Universitätsstandorten wurden bisher insgesamt 64 Patienten in das Projekt aufgenommen. Weitere Behandlungsplätze für Geflüchtete ab 18 Jahren stehen nach Auskunft der Uni Frankfurt zur Verfügung. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS): Was genau ist das?

Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine psychische Erkrankung, die infolge eines oder mehrerer traumatischer Ereignisse auftreten kann. Nach Auskunft der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften  (AWMF) zählen zu den Auslösern:

  • das Erleben von körperlicher und sexualisierter Gewalt – auch in der Kindheit („sexueller Missbrauch“)
  • Vergewaltigung
  • gewalttätige Angriffe auf die eigene Person
  • Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag
  • Krieg, Kriegsgefangenschaft
  • politische Haft, Folterung, Gefangenschaft in einem Konzentrationslager
  • Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen
  • Unfälle
  • die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit.

Diese Katastrophenerlebnisse kann man an der eigenen Person erleben – oder auch als Augenzeuge an fremden Personen: zum Beispiel als Opfer oder Augenzeuge von Grausamkeiten im Krieg.

Typisches PTBS-Symptom: Flashbacks – der immer wieder innerlich ablaufende Horrorfilm

Die PTBS tritt in der Regel innerhalb eines halben Jahres nach dem traumatischen Ereignis auf und geht mit unterschiedlichen psychischen und psychosomatischen Symptomen einher. Grundsymptome einer PTBS können vegetative Übererregbarkeit und sogenannte Flashbacks sein – also das innerliche Wiedererleben traumatischer Erinnerungen in Form eines innerlich ablaufenden Films. Weitere Symptome können ein Gefühl von „emotionaler Taubheit“, Hilflosigkeit und eine Erschütterung des Ich- und Weltverständnisses durch das traumatische Erleben sein.

Hauptkategorie: Medizin
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