„Undifferenzierte Schwurbelei“: Wirbel um BKK-Auswertung zu Impfnebenwirkungen

Ärzte müssen genau zwischen einer Impfreaktion und einer Impfnebenwirkung unterscheiden. Die BKK ProVita scheint aber alles in einen Topf geworfen zu haben – Foto: © Adobe Stock/ dikushin
Vergangene Woche schickte die BKK ProVita eine Art Brandbrief an das Paul-Ehrlich-Institut. Eine Analyse von BKK-Abrechnungsdaten habe eine „erhebliche Untererfassung von Verdachtsfällen für Impfnebenwirkungen nach Corona Impfung“ ergeben. Dies sei ein „heftiges Warnsignal“, schrieb Vorstand Andreas Schöfbeck, und bat das PEI darum, der Sache nachzugehen. Kopien gingen an die Ständige Impfkommission, die Bundesärztekammer, den GKV-Spitzenverband sowie die Kassenärztliche Bundesvereinigung.
PEI will Studie zum Thema auflegen
Das PEI kündigte daraufhin an, im Rahmen einer Studie die Diagnoseangaben aus den ärztlichen Abrechnungsdaten der Krankenkassen auszuwerten und mit den Impfdaten des Digitalen Impfquoten-Monitors zu verbinden. Nach WELT Informationen wollen sich führende PEI-Mitarbeiter, darunter Präsident Klaus Cichutek, kommende Woche mit dem Kassenvorstand austauschen.
Was war passiert? Die BKK Pro Vita hatte die Daten von 10.937.716 BKK-Versicherten stichprobenartig auf vier ICD-Codes hin abgesucht. Laut der Kasse können Ärzte diese Diagnose-Codes verwenden, wenn sie Patienten behandeln, bei denen nach der Impfung „Nebenwirkungen“ aufgetreten sind.
Kasse will erhebliche Untererfassung ermittelt haben
Im Ergebnis zeigt sich eine riesige Diskrepanz zu den Daten des PEI: Allein in den ersten neun Monaten des Jahres 2021 registrierte die BKK 216.695 behandelte Fällen von Impfnebenwirkungen nach Corona Impfung – also nicht viel weniger als das PEI , dem für das das ganze Jahr bundesweit 244.576 Verdachtsfälle für Impfnebenwirkungen gemeldet wurden. „Wenn diese Zahlen auf das Gesamtjahr und auf die Bevölkerung in Deutschland hochgerechnet werden, sind vermutlich 2,5-3 Millionen Menschen in Deutschland wegen Impfnebenwirkungen nach Corona Impfung in ärztlicher Behandlung gewesen“, rechnet die Kasse vor. Und das würde bedeuten, dass rund 4 bis 5 Prozent der geimpften Menschen wegen Impfnebenwirkungen zum Arzt mussten.
Peinlich, sagt der Virchowbund
Die Schlussfolgerungen der BKK ProVita aus der Datenlage seien „kompletter Unfug“, und „peinlich „kritisierte Dr. Dirk Heinrich, der Bundesvorsitzende des Verbandes der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte (Virchowbund), das Schreiben der Krankenkasse. Die BKK ProVita vermische dabei zwei völlig unterschiedliche Bereiche, nämlich die Impfreaktion und die unerwünschte Nebenwirkung.
Das Spektrum einer Impfreaktion reicht von einer harmlosen Schwellung an der Einstichstelle über Fieber und grippeartige Symptome. Eine Impfnebenwirkung ist hingegen ein unerwünschtes Ereignis, eine Thrombose zum Beispiel oder eine Herzmuskelentzündung. Handelt es sich um einen Verdacht auf „über das übliche Maß hinausgehende“ Nebenwirkungen, sind Ärzte verpflichtet, diese an das PEI zu melden.
„Das ist ein eklatanter Unterschied, den die Kasse hier unter den Tisch fallen lässt. Genauso wie man die Zahl der Verdachtsfälle nicht einfach mit der Zahl der bestätigten Nebenwirkungen gleichsetzen kann“, erklärt Heinrich. Weiter wirft er der BKK vor, bei der Auswertung eine ganze Reihe von ICD-Codes in einen Topf geworfen zu haben nach dem Motto: Je mehr, desto besser.
„Diese undifferenzierte Schwurbelei passt aber ganz offensichtlich in das Markenimage der Kasse, die mit Homöopathie und Osteopathie als Satzungsleistungen wirbt und sich selbst als ,veggiefreundlichste Krankenkasse‘ tituliert. Offenbar wolle man vor allem Werbung in der impfkritischen Klientel machen, vermutet der Vorsitzende des Virchowbunds.
Der BKK-Dachverband hat sich von der Auswertung distanziert. Die BKK ProVita hat zwar die Daten aller Betriebskassen benutzt, aber dies geschah offenbar im Alleingang.