Überteuerte Preise für Krebsmedikamente: Lauterbach provoziert Pharmaindustrie

Neue Krebsmedikamente kosten abenteuerliche Summen: Der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach warnt vor einem Kollaps des Gesundheitssystems
Der SPD Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach erhebt in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ schwere Vorwürfe gegen die Pharmaindustrie. Hauptkritikpunkt sind die überhöhten Preise für neue Krebsmedikamente, denen seiner Ansicht nach ein zweifelhafter Nutzen gegenübersteht. All diese High-Tech-Mittel – ob Antikörper, Tyrosinkinasehemmer oder Checkpoint-Inhibitoren – kosteten pro Patient und Jahr zwischen 50.000 und 150.000 Euro, das sei 40mal mehr als für die herkömmliche Behandlung, schreibt Lauterbach in seinem Spiegel-Essay „Die Sünden der Konzerne“. Doch zu Heilungen komme es fast nie, weil sich oft schon kurzer Zeit Resistenzen entwickelten. „Der Tumor“, so Lauterbach, „kehrt dann oft umso stärker zurück.“ Durch aggressives Marketing und darauf zugeschnittene Studien würde der Nutzen der Medikamente systematisch überschätzt und bei Patienten wie Ärzten unrealistische Hoffnungen geweckt.
Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) hat unmittelbar reagiert und letzteren Vorwurf als "Verschwörungsthesen" zurückgewiesen. „Dies Fortschritte geben vielen Patienten Hoffnung und die Wissenschaft unterstützt sie darin“, erklärte vfa-Geschäftsführerin Birgit Fischer am Montag.
Wenige Wochen Lebensverlängerung kosten einen sechsstelligen Betrag
Lauterbach sieht indes das Gesundheitssystem unter der Last der hohen Preise zusammenbrechen, zumal es in den kommenden Jahren aller Voraussicht nach immer mehr Neuzulassungen und Medikamentenkombinationen geben wird; ganz abgesehen von der steigenden Zahl an zu versorgenden Patienten. „Die hohen Preise sprengen das Gesundheitssystem“, warnt der Gesundheitsexperte und prophezeit für Deutschland Mehrkosten von rund 45 Milliarden Euro pro Jahr, wenn nur die Hälfte der jährlich zu erwartenden 600.000 neuen Krebspatienten mit neuen Medikamentenkombinationen behandelt würde. „Für den Preis einer Behandlung, die das Leben oft nur um wenige Wochen verlängert, können mehrere Pflegekräfte pro Jahr bezahlt werden“, rechnet Lauterbach vor. Sein Lösungsvorschlag: Senkung der überhöhten Preise durchsetzen und einen einheitlichen europäischen Erstattungspreis festlegen, der durch eine zentrale neue Einrichtung ermittelt wird, ähnlich wie bei einer Zulassung.
Appelle an Industrie und Politik, die Kosten für Krebsmedikamente zu senken
Bei Krebsmedizinern dürfte der SPD-Politiker damit offene Türen einrennen. In den USA gibt es bereits öffentliche Appelle an Politik und Industrie, die Preise zu senken, weil Patienten sonst nicht mehr behandelt werden können. Deutsche Ärzte teilen die Bedenken. Die Pharmaindustrie rechtfertigt dagegen ihre Preispolitik. Während Birgit Fischer im Namen der forschenden Pharmaunternehmen erklärte, aktuell gebe es gar keine Kostenexplosion, lediglich eine moderate Kostensteigerung von durchschnittlich 4,3 Prozent jährlich, die durch eine „medizinische Revolution“ gerechtfertigt sei, räumte der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) ein, Fortschritt habe halt seinen Preis. Schließlich seien die Forschungsaufwendungen hoch und die wirtschaftlichen Entwicklungsrisiken groß. „Dies sind Investitionen in die weitere Verlängerung der Lebenserwartung und die Verbesserung der Lebensqualität“, wehrte sich der stellvertretender BPI-Hauptgeschäftsführer Dr. Norbert Gerbsch gegen Lauterbachs Vorwürfe.
Was ist der Gesellschaft medizinischer Fortschritt wert?
Zudem will Gerbsch potenzielle Einsparungen durch innovative Medikamente erkennen, obwohl deren Therapiekosten zum Teil bei mehreren Hunderttausend Euro liegen. „Fortschritt kann aber auch an anderer Stelle Kosten einsparen, wenn zum Beispiel die bisher eingesetzten Arzneimittel oder zusätzliche Behandlungen etwa wegen Nebenwirkungen wegfallen“, sagte der BPI-Vize, ohne konkret zu werden. Birgit Fischer vom vfA konterte mit der personalisierten Medizin. Diese helfe dabei, die Finanzmittel durch Vermeidung erfolgloser Therapieversuche effizienter einzusetzen, sagte sie. Zugleich forderte sie ein innovationsoffenes Gesundheitswesen und dass Fortschritt honoriert werden müsse.
„Am Ende geht es aber immer darum, die Frage zu beantworten: Was ist der Gesellschaft medizinischer Fortschritt wert?“, sagte Fischer. Lauterbachs Antwort darauf fällt eindeutig aus: „Die Preise haben nichts mit dem tatsächlichen Nutzen der Medikamente zu tun“, schreibt er wörtlich. Sie seien auch nicht mit hohen Forschungskosten zu rechtfertigen. Die wichtigsten neuen Krebsmedikamente seien das Ergebnis der Forschung an Universitäten und staatlichen Forschungseinrichtungen. Dort werde die Grundlagenforschung gemacht und nicht in den Pharmakonzernen, die mitunter die Forschung sogar behinderten.
Dass Lauterbach in dieser Woche im „Spiegel“ den Teufel an die Wand malt, ist kein Zufall. In Kürze erscheint sein Buch „Die Krebs-Industrie. Wie eine Krankheit Deutschland erobert“. Darin rechnet er auch mit der Pharmaindustrie ab.
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