Tübinger Öffnungs-Modell führte womöglich zu mehr Covid-19-Fällen

– Foto: Adobe Stock/Sina Ettmer
Durch das Modellprojekt "Öffnen mit Sicherheit" haben sich in Tübingen womöglich mehr Menschen mit dem Coronavirus angesteckt, als es ohne das Projekt der Fall gewesen wäre. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), der Eberhard Karls Universität Tübingen und der University of Southern Denmark in einem Diskussionspapier.
Sie verglichen die Entwicklung der Infektionszahlen in Tübingen mit der Entwicklung in ähnlichen Städten. Seit dem 16. März 2021 haben in Tübingen der Einzelhandel, körpernahe Dienstleistungen und Kultureinrichtungen für Besucher mit einem negativen Corona-Schnelltest geöffnet. Für die Tests wurden in der Innenstadt mehrere Stationen aufgebaut.
Mehr Kontakte, mehr Schnelltests
Die Forscher gingen der Frage nach, ob und wenn ja wie, sich die Infektionszahlen in Tübingen durch das Projekt verändert haben. Davon sei aus zwei Gründen auszugehen: Zum einen gibt es durch die vermehrten Kontakte, etwa beim Einkaufen, Frisör- oder Theaterbesuch, mehr Infektionsmöglichkeiten.
Zum anderen werden durch die zusätzlichen Tests mehr Infektionen entdeckt, sagt Prof. Klaus Wälde, Volkswirt an der JGU und Leiter der Studie. Das zusätzliche Entdecken von infizierten Personen könne wiederum dazu führen, dass diese Personen sich in Quarantäne begäben und dass dadurch die Infektionszahlen anschließend sänken.
Vergleichszahlen aus ähnlichen Landkreisen
Wie die Forscher in einer Pressemitteilung erläutern, suchten sie nun aus anderen Landkreisen und kreisfreien Städten in Baden-Württemberg diejenigen heraus, die mit Tübingen nach der Entwicklung der Corona-Fallzahlen bis Mitte März und nach bestimmten Strukturmerkmalen am stärksten übereinstimmten – etwa der Bevölkerungsdichte, dem Durchschnittsalter der Bevölkerung und dem Angebot an Ärzten und Apotheken.
Die Forscher entschieden sich für die Städte Heidelberg und Freiburg im Breisgau sowie die Landkreise Enzkreis und Heilbronn und berechneten dann aus deren Infektionszahlen einen Durchschnitt, der den Infektionszahlen entsprechen könnte, die Tübingen ohne das Modellprojekt ab dem 16. März gehabt hätte.
Tübinger Modell führte womöglich zu mehr Covid-19-Fällen
"Dabei beobachten wir ab Ende März eine deutliche Zunahme der Infektionszahlen in Tübingen gegenüber denen der Kontrollgruppe", sagt Wälde. Das Tübinger Öffnungs-Modell führte also womöglich zu mehr Covid-19-Fällen.
Den größten Unterschied berechneten der Volkswirt und seine Kollegen für Anfang April: Dann lag die 7-Tage-Inzidenz in Tübingen bei 144, während sie für die Kontrollgruppe bei 100 lag. Für die folgenden Tage nimmt der berechnete Unterschied ab, bis die Infektionszahlen am 13. April, dem Ende des Beobachtungszeitraums, in Tübingen nur noch knapp über denen der Kontrollgruppe liegen.
Ab 1. April wurde Außengastronomie wieder geschlossen
"Möglicherweise ist das damit zu erklären, dass am 1. April die Außengastronomie von dem Modellprojekt ausgenommen und wieder geschlossen wurde und dass ab dann auch niemand mehr von außerhalb des Landkreises Tübingen an dem Projekt teilnehmen durfte. Möglicherweise sehen wir hier aber auch den positiven Effekt der durch die zusätzlichen Schnelltests zusätzlich identifizierten Infektionen", sagt Wälde.
Schnelltests hatten Einfluss auf Zahlen
Die Forscher berechneten auch, welchen Anteil die durch die zusätzlichen Schnelltests zusätzlich entdeckten Infektionen an den unterschiedlichen Zahlen für Tübingen und die Kontrollgruppe haben könnten. Demnach verringert sich zum Beispiel der Unterschied in der 7-Tage-Inzidenz zwischen Tübingen und der Kontrollgruppe für den 4. April von 46 auf etwa 33 Punkte, wenn die durch die zusätzlichen Tests zusätzlich entdeckten Infektionen berücksichtigt werden."Unsere Rechnungen zeigen, dass die Zunahme bei der Inzidenz durch das vermehrte Testen zu einem nicht unbeträchtlichen Teil, aber nicht vollständig erklärt werden kann", sagt Wälde.