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Tiefe Hirnstimulation kann bei Anorexie helfen

Freitag, 28. April 2017 – Autor: Anne Volkmann
Eine tiefe Hirnstimulation kann Patienten, die unter Anorexie leiden, offenbar helfen. In einer kleinen Studie stieg der BMI der Betroffenen durch die Therapie deutlich an, während Depressionen und Zwänge reduziert wurden.
Hirnstimulation hilft bei Magersucht

Die elektrische Stimulierung bestimmter Areale im Gehirn ist offenbar wirksam gegen Magersucht

Anorexie (Magersucht) gehört besonders unter jungen Frauen zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen. Neben den deutlichen Symptomen des geringen Körpergewichts, der großen Angst vor Gewichtszunahme und dem beständigen Kreisen der Gedanken um Essen und Kalorien leiden viele Betroffene auch unter Zwängen, Angststörungen und Depressionen. Behandelt wird die Anorexie meist mit verschiedenen psychotherapeutischen Maßnahmen, doch bei etwa 20 Prozent der Betroffenen schlagen diese nicht an.

Wie wichtig jedoch eine wirkungsvolle Behandlung der Anorexie ist, zeigt die Statistik, denn rund 15 Prozent der Betroffenen sterben durch die Erkrankung. Nun haben Forscher eine neue Behandlungsmethode gefunden, die möglicherweise Hoffnung machen kann: Die tiefe Hirnstimulation, die durch die erfolgreiche Behandlung anderer Erkrankungen wie beispielsweise von Parkinson bekannt ist, kann auch Anorexie-Patienten helfen. In einer Pilotstudie wurden vierzehn Patientinnen damit erfolgreich behandelt.

Viele Frauen hatten einen BMI unter 10

Bei der tiefen Hirnstimulation werden den Patienten feine Elektroden in das Gehirn eingepflanzt. Diese stimulieren dann bestimmte Hirnareale mit schwachen elektrischen Impulsen. Bei Anorexie-Patienten kommen dafür Bereiche im Gehirn in Frage, die für die Verarbeitung von Körperbildern zuständig sind und bei Betroffenen eine geringere Zelldichte aufweisen sowie funktionell schwächer miteinander verbunden sind, so dass sie weniger gut kommunizieren. Auch scheinen bestimmte Areale des Gehirns bei Anorektikern anders auf Botenstoffe wie beispielsweise Serotonin anzusprechen.

Forscher um Nir Lipsman vom Sunnybrook Health Sciences Centre in Kanada haben diese Erkenntnisse nun genutzt und 16 erkrankten Frauen Elektroden in die Area subcallosa des Cingulum (Brodmann-Areal 25) implantiert; hier liegt ein wichtiger Knotenpunkt für die affektive Kontrolle sowie das Selbstwahrnehmungs- und Belohnungssystem. Ausgewählt hatten die Studienautoren Anorexie-Patientinnen, die schon seit Jahren mit schweren Rückfällen zu kämpfen haben und immer wieder in Kliniken eingewiesen wurden, wo sie sogar zwangsernährt werden mussten. Für die Behandlung mussten sich die Probandinnen allerdings in einem einigermaßen stabilen psychischen und körperlichen Zustand befinden.  

Hirnstimulation reduzierte Depressionen und Ängste

Das Alter der Frauen lag im Durchschnitt bei 34 Jahren, unter Anorexie litten sie im Mittel seit 17 Jahren. Viele der Probandinnen hatten im Laufe ihrer Erkrankung bereits einen BMI unter 10 erreicht. Zudem litten fast alle Teilnehmerinnen unter weiteren psychischen Problemen wie Depressionen, Angst- oder Zwangsstörungen sowie posttraumatischen Belastungsstörungen. Neun Frauen nahmen Antidepressiva ein.

Für die Studie wurden die Patientinnen über ein Jahr lang mit der tiefen Hirnstimulation behandelt. Dabei gaben die Elektroden alle 90 Sekunden einen elektrischen Puls von 5 bis 6,5 Volt ab. Die Implantation der Elektroden verlief bei allen Teilnehmerinnen erfolgreich – allerdings klagten einige über Schmerzen, zwei brachen die Studie vorzeitig ab; weshalb, konnte allerdings nicht genau geklärt werden.  Bei den anderen 14 Patientinnen zeigte sich die Behandlung jedoch erstaunlich wirkungsvoll. Schon nach kurzer Zeit verbesserten sich Stimmung und mentale Gesundheit der Probandinnen. Zehn Teilnehmerinnen berichteten von einer Reduktion der Depressionssymptomatik, bei immerhin fünf Patientinnen gingen die Angstzustände zurück.

Sechs von 14 Patientinnen erreichten einen „normalen“ BMI

Nach rund drei Monaten konnten die Forscher auch signifikante Änderungen beim Körpergewicht feststellen. Nach einem Jahr war der durchschnittliche BMI der Teilnehmerinnen um 3,5 Punkte auf 17,3 angestiegen; sechs Frauen erreichten sogar einen „normalen“ BMI von 18,5 oder mehr. Allerdings schienen fünf Patientinnen auf die Therapie gar nicht anzusprechen - bei ihnen war der BMI gleichgeblieben.

Zu den festgestellten äußerlichen Verbesserungen fanden die Wissenschaftler auch Entsprechungen im Gehirn. So stellten sie deutliche Veränderungen in den mit Anorexie assoziierten Regionen fest – unter anderem ging die Aktivität im Thalamus zurück, in den peripheren Bereichen des Kortex stieg sie. Dies zeige, dass die tiefe Hirnstimulation direkten Einfluss auf genau die Schaltkreise habe, die bei der Entstehung von Magersucht eine Rolle spielen, so die Forscher. „Die tiefe Hirnstimulation wirkt sich damit genau auf jene Faktoren aus, die die Erkrankung aufrechterhalten und sie so schwer therapierbar machen“, kommentierte Studienautor Lipsman die Ergebnisse.

Dennoch sollten Betroffene ihre Erwartungen nun nicht zu hochschrauben. „Unsere Ergebnisse sind zwar vielversprechend“, so Mitautor Andres Lozano von der University of Toronto. Es sei aber noch weitere Forschung nötig, bevor diese Therapiemethode für Patienten verfügbar werde.

Foto: © psdesign1 - Fotolia.com

Hauptkategorie: Medizin
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