Team Wallraff: „Sie wissen, dass wir Ihre Zehen abschneiden müssen”
14 Monate haben Günter Wallraff und die Reporterin Pia Osterhaus undervover in deutschen Krankenhäusern recherchiert. Ihre Dokumentation „Profit statt Gesundheit: Wenn Krankenhäuser für Patienten gefährlich werden“ war am Montagabend bei RTL zu sehen. Viele der fast vier Millionen Zuschauer sind geschockt. Auf der Facebook-Seite von 'Team Wallraff' haben inzwischen tausende Nutzer ihre Kommentare gepostet. „Ich schaue gerade Team Wallraff und bin erschüttert. Es fehlt an Personal, es fehlt an medizinischen Geräten, es wird gespart bis zum Tod“, schreibt eine userin. Auch Pflegekräfte melden sich zu Wort. "Ich kann diese Zustände nur bestätigen! Ich bin auch Krankenschwester! Es ist eigentlich ein toller Beruf, wenn der Personalnotstand nicht wäre!", heißt es in einem Kommentar.
Undercover-Reporterin Pia Osterhaus, die für die Recherche in die Rolle einer Pflegepraktikantin geschlüpft war, postet: „Einfach nur traurig, welche Folgen der Krankenhausbetrieb haben kann.“ In deutschen Krankenhäusern sei kaum Zeit für Menschlichkeit. Eine Situation habe sie besonders berührt. Der Doktor kommt am Krankenbett vorbei und sagt buchstäblich im Vorbeihuschen: „Sie wissen, dass wir Ihre Zehen abschneiden müssen.“
Krass und verstörend wirkt auch der Satz, den eine überforderte, dauergestresste Krankenschwester einem demenzkranken, älteren Patienten entgegenschnalzt: "Ich fick dich, du Tauber!", sagt sie, als der nicht auf ihre Ansprache reagiert.
München, Wiesbaden, Berlin – überall fehlt Personal
Recherchiert hatte das Team um den Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff auf einer chirurgischen Station des städtischen Klinikums Harlaching in München, in der Notaufnahme der Horst Schmidt Kliniken in Wiesbaden und auf einer Krebsstation im Helios Klinikum Berlin Buch.
Im Klinikum Harlaching bekam Osterhaus die Sparzwänge in vielen Bereichen zu spüren. Die Reportage zeigt, wie sie als ungelernte Praktikantin ohne Vorkenntnisse nach kurzer Einarbeitung Patienten allein versorgen soll. Sie erfährt von „Kollegen“, dass es immer wieder auch Mängel an medizinischen Instrumenten gibt. Einen Vorfall beobachtet sie selbst: Bei einem jungen Lungen-Patienten läuft die Absaugpumpe, die das Wundwasser absaugen soll, nicht richtig – was unter anderem zu schweren Infektionen oder Lungenschäden führen kann. Eine Pflegeschwester erzählt ihr: „Wir sind überlastet. Es gibt Spannungen, jeden Moment kann es explodieren." Laut Reportage sollen in der finanziell angeschlagenen Klinik 1.600 von 8.000 Stellen gestrichen werden.
Der Betreiber spart sich zu Tode
In den Wiesbadener Horst-Schmidt-Kliniken erlebt sie Ähnliches. Überlastetes Pflegepersonal berichtet von katastrophalen Zuständen. „In unserer Klinik laufen wir gerade auf einen Kollaps zu. Wir sind am Ende“, sagt einer. Zwischen Januar und Ende September 2015 sei es zu 618 Überlastungsanzeigen gekommen. Das heißt, dass die Ärzte und Pfleger 618 Mal der Meinung waren, ihre Patienten zu gefährden. Ein Pfleger kritisiert, dass sich der Klinik-Betreiber zu Tode spare. Allein im Mai 2015 seien 700 Überstunden in der Notaufnahme eingeplant gewesen. „Da ist das ein oder andere Burnout geradezu vorprogrammiert.“ Dass auch an der Reinigung gespart wird, seit Helios im Mai 2014 einen Teil der Horst-Schmidt-Kliniken übernommen hat, kann der Zuschauer mit eigenen Augen sehen. Verdreckte Böden, verschmutzte Betten mit befleckten Laken, blutiges Arbeitsmaterial in für jeden öffentlich zugänglichen Bereichen.
Patient mit multiresistentem Keim trifft Chemotherapie-Patienten
Der private Klinikkonzern Helios kommt auch in Berlin Buch schlecht weg. Auf der onkologischen Station wird der Zuschauer Zeuge, wie ein Patient mit einem multiresistenten Krankenhauskeim ohne Mundschutz und sonstige Schutzvorkehrungen auf der Station unterwegs ist. Er setzt sich dann in den Wartebereich zu Patienten, die eine Chemotherapie bekommen. Weiter berichtet die Reportage, wie Servicekräfte Krankenzimmer reinigen und später in denselben Kitteln Essen an die Patienten austeilen.
Das Team Wallraff hofft, mit seiner Reportage, den Druck auf die Verantwortlichen zu erhöhen. "Unsere Rechercheergebnisse sind beschämend für eine der immer noch reichsten Industrienationen der Welt“, meint Günter Wallraff. Es könne nicht sein, dass wegen des Profitstrebens börsennotierter Klinikbetreiber sowohl Patienten als auch Mitarbeiter die Leidtragenden seien. „Die Politik ist aufgefordert, endlich verbindliche Quoten für Pflegekräfte einzuführen, bevor das System kollabiert", sagte er.
Helios hat mit Stellungnahme reagiert
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe stand laut Wallraff für ein Gespräch „ aus terminlichen Gründen“ nicht zur Verfügung. Das Klinikum Helios hat sich am Dienstag, also einen Tag nach Ausstrahlung der Reportage, mit einer Stellungnahme zu Wort gemeldet. Dort heißt es unter anderem: "In der RTL Sendung „Team-Wallraff – Reporter undercover“ wurde gestern unter anderem kritisch über unsere Kliniken in Wiesbaden und Berlin-Buch berichtet. Angeprangert wurden Missstände in den Bereichen Pflege, Hygiene und Reinigung. Wir nehmen die Berichterstattung ernst, einige Reaktionen darauf machen uns sehr betroffen.“