Sucht nach Information: Was Kurznachrichten mit unserem Gehirn machen

Immer informiert und trotzdem unwissend - das scheint das Schicksal der "Generation Internet" zu sein
In Italien ist ein Bus verunglückt, in Guatemala gab es ein Erdbeben, irgendein Promi hat irgendjemanden geheiratet – Kurznachrichten dieser Art begleiten uns jeden Tag. Durch Nachrichten-Apps und Schlagzeilen im Internet sind wir ständig auf dem Laufenden. Doch verstehen wir eigentlich noch den Sinn hinter den News? Sind wir noch in der Lage, uns auf komplexe, hintergründige Zusammenhänge einzulassen? Forscher malen ein relativ schwarzes Bild von der Entwicklung unserer kognitiven Fähigkeiten. Demnach wird unsere Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer – gleichzeitig fühlen wir uns von der Nachrichtenflut gestresst.
Ständige Kurznachrichten halten den Stresslevel hoch
20.000 Nachrichten im Jahr nehmen wir auf – mit fatalen Auswirkungen auf unser Denken, unser Lernen und die Art, wie wir die Welt wahrnehmen. Der Bestsellerautor Rolf Dobelli lebt seit vielen Jahren gänzlich ohne News. In seinem Buch „Die Kunst des digitalen Lebens“ beschreibt er eindrücklich, wie unsere Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer wird, der Stress dabei immer größer. Da Kurznachrichten immer nur oberflächliche, vermeintliche aufregende Informationen bieten, machen sie nie „satt“, wie Dobelli beschreibt. Was bleibt, ist der Hunger auf die nächsten News.
Kurznachrichten halten den sogenannten Sympathikus, einen Teil des vegetativen Nervensystems, auf Trab. Da es sich meistens um aufwühlende Storys handelt, führt ihr Konsum zur Ausschüttung des Stresshormons Cortisol. Blicken wir also ständig auf unser Smartphone, um die neuesten Nachrichten zu checken, wird unser Körper immer wieder mit Cortisol überflutet – mit all seinen gesundheitlichen Folgen.
Risiko „Nachrichtensucht“
Zudem stehen wir mittlerweile konstant unter dem Druck, nichts verpassen zu dürfen. „Das ist eine Stressreaktion, die sich unangenehm anfühlt“, erklärt David Greenfield, Professor für klinische Psychologie an der University of Connecticut School of Medicine und Gründer des Zentrums für Internet- und Technologiesucht. Die natürliche Reaktion des Körpers sei es, zum Handy zu greifen, um diesen Stresszustand zu beenden.
Der Blick aufs Handy oder den Laptop führe zwar kurz zur Entspannung. Diese werde jedoch kurz danach von der nächsten Stresswelle abgelöst, so Greenfield. Um diese Unruhe abzubauen, schauen wir wieder nach, ob es neue Nachrichten gibt – der Teufelskreis beginnt von vorn.
Schließlich kann fast eine Nachrichtensucht entstehen. Dabei sind die meisten Informationen, die uns erreichen, ohne Bedeutung für unser Leben und schnell wieder vergessen. Und nicht nur das: Da wir nur noch gewohnt sind, kleine Nachrichten-Schnipsel zu konsumieren, geht die Fähigkeit verloren, komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Wir werden im wahrsten Sinn des Wortes immer dümmer.
Internetnutzung beeinflusst unsere kognitiven Fähigkeiten
Mit der Frage, wie sich die Internetnutzung auf unsere kognitiven Fähigkeiten auswirkt, hat sich auch eine Studie mehrerer renommierter Universitäten beschäftigt. Die Ergebnisse stimmen nachdenklich: Die Forscher, die unter anderem von der Western Sydney University, der Harvard University und der Oxford University kamen, stellten fest, dass sich die häufige Nutzung des Internets negativ auf unsere kognitiven Fähigkeiten und vor allem auf unsere Aufmerksamkeitsspanne auswirkt.
„Die Ergebnisse zeigen, dass ein hohes Maß an Internetnutzung tatsächlich viele Funktionen des Gehirns beeinträchtigen kann. Zum Beispiel fördert der unbegrenzte Strom von Aufforderungen und Benachrichtigungen aus dem Internet eine ständige Aufteilung unserer Aufmerksamkeit“, erklärt der Forschungsbeauftragte Dr. Joseph Firth von der Western Sydney University.
Auch das Gedächtnis verschlechtert sich. Da wir wissen, dass alle Fakten und Informationen nur ein paar Klicks entfernt sind, hat sich die Art und Weise verändert, wie wir Wissen speichern. Studien zeigen: Was wir im Internet lesen, vergessen wir schneller als das, was wir in einem Buch oder einer Zeitung aus Papier lesen.
Denken braucht Konzentration und Zeit
Ein weiteres Problem: Unser Gehirn ist darauf geeicht, das Negative als relevanter wahrzunehmen als das Positive. Die Psychologie nennt das negative Bias: Eine Aktie, die um zehn Prozent fällt, macht uns doppelt so unglücklich, wie uns eine Aktie, die um zehn Prozent steigt, glücklich macht. Der Grund dafür liegt vermutlich in unseren Genen: Unsere Vorfahren mussten sehr empfindlich auf Gefahren reagieren, um zu überleben. Solche Gefahren gibt es heute kaum noch. Dennoch wirken schlechte Nachrichten auf uns stärker als positive.
Was könnte also die Lösung sein? Experten empfehlen, sich mit ausführlichen Reportagen und Dokumentarsendungen zu beschäftigen sowie lange Zeitungsartikel und Bücher zu lesen. Dies sollte nicht gehetzt geschehen, denn Denken braucht Konzentration und Konzentration braucht ungestörte Zeit.
Digital Detox kann helfen
Um sich unnötigen Stress zu ersparen, empfiehlt Bruce McEwen, Leiter des Labors für Neuroendokrinologie an der Rockefeller-Universität, alle unwichtigen Benachrichtigungen am Smartphone zu deaktivieren und diejenigen Apps zu entfernen, die für uns das größte Stresspotenzial bergen. Auch regelmäßige Auszeiten von Smartphone und Co., das sogenannte Digital Detox, können zur Entspannung und zum Ausbrechen aus der Stressspirale beitragen. Dafür ist allerdings ein wenig Selbstdisziplin gefragt.
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