Stress mit Kollegen macht Ärzte krank
Burn-out, Überforderung und Versagensängste sind keine Begriffe, die man mit dem Arztberuf verbindet. Doch eine aktuelle Umfrage des Online-Netzwerks esanum unter 220 Ärzten zeigt: Mediziner leiden zunehmend unter ihrem Arbeitsstress und haben Angst, an einem Burn-out zu erkranken. 57 Prozent der Ärzte in Deutschland befürchten, dass sie aufgrund eines stressbedingten Burn-outs längerfristig beruflich ausfallen, den Arztberuf nicht mehr ausüben oder das gesetzliche Renteneintrittsalter von 65 beziehungsweise 67 Jahren nicht erreichen. Allerdings zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Berufseinsteigern und Ärzten mit langjähriger Berufserfahrung. Während ältere Kollegen zwar den Stress am Arbeitsplatz als „hoch“ bis „sehr hoch“ einschätzen, aber trotzdem keinen Arbeitsausfall aufgrund eines stressbedingten Burn-out befürchten, halten 59 Prozent der jüngeren Ärzte mit weniger als zehn Jahren Berufserfahrung einen durch Burn-out verursachten Arbeitsausfall für möglich.
Je älter, desto gelassener werden die Ärzte
Die Gründe für den Burn-out bei Ärzten resultieren dabei weniger aus Arbeitsüberlastung aufgrund zu vieler Patienten sondern vorrangig aus Konflikten am Arbeitsplatz. Immerhin 47 Prozent der von esanum befragten Ärzte sehen darin den Hauptgrund für Stress. Insbesondere in den Assistenzarztjahren entstünden Konflikte und Reibereien. Dabei spielen neben der hohen Arbeitsbelastung vor allem das Konkurrenzdenken, der Drang zur Perfektion und der Druck, sich unter Kollegen beweisen zu müssen, eine entscheidende Rolle. 36 Prozent der Ärzte sagen, der Konkurrenzdruck sei kontraproduktiv und führe zu psychischer Erschöpfung. Entgrenzung von der Arbeit, also das Stellen zu hoher Anforderungen an sich selbst, aber auch die Konstellation der Arbeitsbedingungen, auf die die Betroffenen keinen Einfluss haben, erhöhen das Burn-out-Risiko zusätzlich.
Auch der Schichtdienst und die unregelmäßigen Arbeitszeiten machen Ärzten zu schaffen. Ruf-, Not-, Bereitschafts- oder Wochenenddienste führen dazu, dass Ärzte nie zur Ruhe kommen und nur schwer abschalten können. Knapp 70 Prozent der Ärzte mit eigener Praxis sagen zwar, sie könnten in der Freizeit gut abschalten. Doch 57 Prozent hatten schon einmal Angst, an einem stressbedingten Burn-out zu erkranken. Gerade bei Ärzten werden erste Anzeichen für eine psychische Erkrankung selten wahrgenommen.
Je länger ein Arzt im Berufsleben steht, umso eher nimmt er offenbar die Arbeitsbelastung als negativen Stress wahr. Das Bewusstsein, sich Pausen und Zeit für Entspannung zu gönnen, nimmt zu. „Die Symptome für Überforderung und einen Burn-out sind für Fachärzte gut zu erkennen“, erklärt Dr. Edith Rahner in ihrer Studie an der Freien Universität in Berlin zum Burn-out bei Ärzten. „Erschöpfung, Reizbarkeit und das Gefühl, nicht mehr in der Lage zu sein zu arbeiten sind klare Anzeichen.“ Meist kommen körperliche Beschwerden dazu. „Bluthochdruck, Herz- und Magen-Darm-Beschwerden oder Schlafstörungen sind typisch in dieser Phase“, so Rahner. Ärzte würden sich hier nicht von anderen Kranken unterscheiden.
Burn-out gilt unter Ärzten als Schwäche
Doch gerade Ärzte wollen diese scheinbaren Schwächen offenbar am liebsten verheimlichen oder hoffen auf Besserung, ohne professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sie sprechen nicht über ihr Leiden, weil sie Angst haben, gesellschaftlich und im Kollegenkreis ihren Status zu verlieren. „Dieses Stigma können wir nur auflösen, wenn wir als Ärzte die Tabuisierung nicht noch durch unser eigenes Verhalten verstärken", betont Michael Freudenberg, Oberarzt in der Gerontopsychiatrie am AMEOS Klinikum in Neustadt. „Als Arzt einen Burn-out zuzugeben, gilt als Schwäche und wird als Versagen wahrgenommen.“ Im Arztberuf würden viele Berufseinsteiger aber auch erfahrene Kollegen denken, sie müssten Besonderes leisten. Viele überanstrengen sich. Gesamtgesellschaftlich sind Ärzte damit genauso betroffen wie andere Berufsgruppen. Der Stressreport Deutschland 2012 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sieht in psychischen Erkrankungen die Hauptursache für Frühverrentung.
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