Flüssig zu sprechen, erscheint den meisten Menschen als vollkommen selbstverständlich. Doch für ein Prozent der Erwachsenen und fünf Prozent der Kinder ist dies eine tägliche Herausforderung: Sie stottern, das heißt sie ringen immer wieder damit, Sätze durchgehend auszusprechen und wiederholen beispielsweise krampfhaft den Anfang eines Wortes.
Die Ursachen dieser Sprachstörung sind bisher weitgehend unbekannt. Nun haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und der Universitätsmedizin Göttingen herausgefunden, dass ein überaktives Netzwerk im vorderen Bereich des Gehirns eine wesentliche Rolle für dieses Defizit spielen könnte. Es hemmt die Betroffenen darin, Sprechbewegungen vorzubereiten und auszuführen – und hindert sie so daran, flüssig zu sprechen.
Ungleiche Aktivitäten der Hirnseiten
Frühere Studien haben bereits gezeigt, dass beim Stottern ein Ungleichgewicht zwischen der Aktivität beider Hirnhälften auftritt: Eine Region im linken Stirnhirn ist zu schwach aktiviert, die entsprechende Region in der rechten Hirnhälfte ist wiederum zu stark aktiviert. Dennoch war bisher unklar, was diese veränderte Hirnaktivität bedeutet und wie sie zustande kommt. Bewirkt die minderaktive linke Hirnhälfte, dass die rechte Hirnhälfte ihre Aktivität als eine Art Ausgleichsreaktion erhöht, um so einem Funktionsausfall entgegenzusteuern? Oder ist es genau umgekehrt und die hyperaktive rechte Seite unterdrückt die Aktivierung auf der linken und ist demnach die eigentliche Ursache des Stotterns?
In ihrer aktuellen Studie sind die Forscher nun zu einer entscheidenden Erkenntnis gelangt: Die Überaktivität in den Regionen auf der rechten Hirnseite scheint der eigentliche Grund für das Stottern zu sein. „Die rechte untere Windung des Stirnhirns ist bei allen Menschen immer dann besonders aktiv, wenn wir Bewegungen wie Hand- oder Sprechbewegungen stoppen“, erklärt Nicole Neef, Neurowissenschaftlerin am MPI CBS und Erstautorin der zugrundeliegenden Studie. „Ist diese Region jedoch überaktiv, kommt es zu einer übermäßigen Hemmung. Bei Personen, die stottern, sind davon höchstwahrscheinlich gerade jene Hirnregionen betroffen, die die Sprechbewegungen steuern.“
Dazu gehören die für das Sprechen relevanten Bereiche im linken Frontallappen, insbesondere der sogenannte linke Gyrus frontalis inferior (IFG), der für die Planung des Sprechens zuständig ist, sowie der linke Motorcortex, der dann die eigentlichen Sprechbewegungen steuert. „Sind diese beiden Prozesse zu stark gehemmt, wird eine Person daran gehindert, flüssig zu sprechen“, so Neef.
Überaktivität des rechten IFG hemmt flüssige Sprechbewegung
Während einer MRT-Untersuchung sollten sich die Probanden vorstellen, die Monatsnamen aufzuzählen. Diese Methode des imaginären Sprechens wählten die Forscher, um sicherzustellen, dass tatsächliche Sprechbewegungen die sensiblen MRT-Signale nicht stören. Die Neurowissenschaftler konnten so per Hirnscanner auch analysieren, ob bei den stotternden Probanden von den überaktiven Regionen auf der rechten Hirnseite möglicherweise veränderte Faserverbindungen ausgehen. Und tatsächlich: Innerhalb des hyperaktiven rechten Netzwerkes entdeckten sie eine Faserbahn, die bei den Betroffenen deutlich stärker ausgebildet war, als bei Teilnehmern ohne Sprechprobleme.
„Je stärker der sogenannte Frontale Aslant Trakt (FAT) war, desto schwerer war das Stottern ausprägt. Aus früheren Studien wissen wir, dass diese Verbindung eine wichtige Rolle bei der Feinabstimmung von Signalen spielt, die Bewegungen hemmen“, erklärt Neef. Der rechte Gyrus frontalis inferior (IFG) ist also überaktiv, weil die umgebenden Faserverbindungen wie der Frontale Aslant-Trakt stärker ausgebildet sind. Das hemmt den linken IFG und damit das fließende Sprechen. Zusammenfassend erklärt die Neurowissenschaftlerin: „Die übermäßige Aktivität dieses Netzwerkes und seine stärkeren Verbindungen könnten darauf hindeuten, dass die eigentliche Ursache des Stotterns darin liegt, dass Sprechbewegungen zu stark gehemmt werden.“
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