Steuerveränderungen könnten Übergewichtswelle stoppen

Zucker- und fettreiche Lebensmittel sollen höher besteuert werden. Das fordern sieben deutsche Gesundheitsorganisationen.
So gut wie jeder kennt das: Wissen und gute Vorsätze alleine reichen nicht aus, um ein lange etabliertes Verhalten zu verändern. Das ist auch der Grund, warum bisherige Aufklärungsaktionen bei der Bekämpfung des immer weiter um sich greifenden Übergewichts in Deutschland erfolglos geblieben sind. Mittlerweile gelten fast 60 Prozent der deutschen Bevölkerung als übergewichtig, etwa 25 Prozent als adipös. Und dabei handelt es sich nicht nur um ein kosmetisches Problem, denn starkes Übergewicht erhöht das Risiko für viele Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar Krebs. Um auszuloten, wie sich Steueranpassungen auf das Konsumverhalten und die Gewichtsentwicklung der Bevölkerung auswirken würden, haben sich sieben Gesundheitsorganisationen zusammengetan und eine Studie in Auftrag gegeben, die nun in Berlin vorgestellt wurde.
Politik muss bessere Rahmenbedingungen schaffen
Gesundheitsinstitutionen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) empfehlen schon seit längerem, die Rahmenbedingungen für gesundes Verhalten zu verbessern, anstatt nur auf die Wirkung von Aufklärung zu setzen. Zu den geforderten Maßnahmen der Verhältnisprävention gehören Steueranpassungen, aber auch ein Verbot von Lebensmittelwerbung, die sich speziell an Kinder richtet, sowie verbindliche Standards für die Verpflegung in Kitas und Schulen. „Die Politik muss die Bedingungen schaffen, um eine gute Ernährung für alle zu erleichtern“, fordert auch Ulf Fink, Vorsitzender von Gesundheitsstadt Berlin e.V. „Durch Appelle und Selbstverpflichtungen der Wirtschaft ist das Problem nicht zu lösen“, so der ehemalige Senator für Gesundheit und Soziales in Berlin.
Für die aktuelle Studie im Rahmen der Aktion „Gesunde Mehrwertsteuer“ hat PD Dr. Tobias Effertz von der Universität Hamburg nun berechnet, wie sich eine höhere Besteuerung fett- und zuckerreicher Lebensmittel auf die Adipositasprävalenz in der Bevölkerung auswirken würde. Das Ergebnis: Eine neue Staffelung der Steuersätze auf Lebensmittel – je nachdem, ob sie „gesund“ oder „ungesund“ sind – könnte der Übergewichtsepidemie entgegenwirken.
Gestaffelter Steuersatz beeinflusst Konsumverhalten
Bisher gilt für die meisten Lebensmittel der ermäßigte Steuersatz von sieben Prozent, auch für Produkte mit viel Fett und Zucker. Effertz untersuchte nun mehrere alternative Szenarien mit verschiedenen Staffelungen der Mehrwertsteuer. Dabei erwies sich ein „Ampel Plus“ genanntes System als am erfolversprechendsten. Dieses System orientiert sich an der sogenannten Lebensmittelampel und sieht folgende Mehrwertsteuersätze vor:
- Obst und Gemüse („Grün): 0 %
- „normale“ Lebensmittel wie Nudeln, Milch oder Fleisch („Gelb“): 7 %
- Produkte mit viel zugesetztem Zucker, Salz oder Fett wie Fertiggerichte, Chips oder Süßigkeiten („Rot): 19 %
Zusätzlich könnte der Steuersatz für Softdrinks von heute 19 auf 29 Prozent erhöht werden. Softdrinks gelten als besonders gesundheitsschädlich. Zudem wird ihnen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Adipositas zugeschrieben – sogar mehr als Süßigkeiten.
Natürlich kann durch die Studie nur auf die Möglichkeiten hingewiesen werden, die eine veränderte Steuer mit sich bringen könnte. Doch neben einer Veränderung des Konsumverhaltens ist nach Angaben der auftraggebenden Gesundheitsorganisationen zu erwarten, dass Hersteller von Fertigprodukten ihre Rezepturen im Hinblick auf einen niedrigeren Zuckergehalt ändern, um einer höheren Steuer zu entgehen.
Widerstand der Lebensmittelindustrie
In einigen Ländern wie Frankreich, Belgien, England und den USA wurden ähnliche steuerbezogene Modelle bereits eingeführt – mit Erfolg. So sank der Absatz von Softdrinks unter einer solchen Steuer überall, in Berkeley/Kalifornien sogar um 21 Prozent. In Deutschland stößt die Einführung eines neuen Mehrwertsteuer-Systems jedoch nach wie vor auf Widerstand, besonders von Seiten der Lebensmittelindustrie.
Auch auf die Aktion „Gesunde Mehrwertsteuer“ reagierten Industrievertreter mit harscher Kritik. Das neue System negiere den mündigen Verbraucher und sei eine Bevormundung vor allem sozial benachteiligter Menschen, kommentierte beispielsweise Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. (BLL) und der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), die Vorstellung der aktuellen Studie. Die Befürworter der neuen Mehrwertsteuer halten dem entgegen, dass gerade sozial benachteiligte Menschen besonders stark an den Folgen ungesunder Ernährung leiden. Zudem zeige die Studie, „dass die Bürger durchaus mehr gesunde Lebensmittel kaufen wollen, bisher aber auch am Preis scheitern“, so der Ernährungsmediziner Professor Hans Hauner von der Technischen Universität München.
Finanzielle Anreize können gesundes Verhalten befördern
„Natürlich soll jeder selbst entscheiden, was er kauft“, erklärt Ulf Fink. "Günstige Preise erleichtern es dem Verbraucher aber, seine Gesundheit zu fördern". Und beim Thema Ernährung spielen die Rahmenbedingungen nun einmal eine entscheidende Rolle, so der Gesundheitssenator a.D. Wie schwer es für den einzelnen ist, ohne besondere Anreize sein Ernährungsverhalten zu ändern, betont auch Professor Hans-Georg Joost von diabetes-DE – Deutsche Diabetes-Hilfe. Zucker- und fettreiche Nahrungsmittel kämen unseren endogenen Bedürfnissen entgegen, so dass es für viele fast unmöglich sei, sich dem zu widersetzen. Daher seien andere Anreize wie zum Beispiel finanzielle wichtig, um gesundes Verhalten zu fördern, so der ehemalige Stiftungsvorstand des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DiFE). Studienautor Effertz ist von dem Nutzen einer Anpassung der Mehrwertsteuer überzeugt. Seiner Ansicht nach sind damit „Effekte zu erzielen, die mit keinem anderen Präventionskonzept zu erreichen sind.“
Die Studie wurde beauftragt und finanziert von der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG), der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), der Deutschen Diabetes Stiftung (DDS), diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe, Gesundheitsstadt Berlin e.V., dem Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD) und der Universität Kiel.
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