Steinalt – und zufriedener als viele Jüngere

I'm old, but I'm happy: Menschen ab 85 können offenbar gelassener mit dem Alter umgehen als jüngere Alte. – Foto: ©Olesia Bilkei - stock.adobe.com
In nur einem Jahrzehnt ist die Zahl der Menschen über 85 um fast 40 Prozent gestiegen. Nach den aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamts lebten Ende 2016 in Deutschland 2,25 Millionen Hochbetagte – zehn Jahre zuvor waren es noch 1,64 Millionen gewesen. Zu den wenigen Wissenschaftlern, die sich für Hochbetagte interessieren, zählt nach Auskunft der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) die in der Schweiz lehrende deutsche Psychologie-Professorin Daniela Jopp.
Eigenständigkeit ist wichtiger als Gesundheitszustand
In einer Studie mit Hundertjährigen aus Heidelberg stellten Jopp und ihre Forscherkollegen fest, dass die untersuchte Altersgruppe im Schnitt unter fünf Krankheiten litt, mindestens eine davon war chronisch. „Die Lebenszufriedenheit dieser Menschen hängt jedoch nicht von der Zahl ihrer Krankheiten ab, sondern vor allem von einem positiven Blick auf die Zukunft, vom Zusammenleben mit anderen Menschen und davon, ob sie glauben, noch selbstständig handeln zu können“, sagt Jopp. „Die allermeisten Hundertjährigen sind mit ihrem Leben zufrieden oder sogar sehr zufrieden.“
Hochbetagte entwickeln Strategien, die sie zufriedener machen
Trotz und wegen ihres besonders hohen Alters, gelingt es vielen Hochbetagten offenbar, mit dem körperlichen und geistigen Verfall und einem ständig möglichen Lebensende gelassener umzugehen als jüngeren Alten unter 85. Denen nämlich fällt es der Studie zufolge zunächst schwer zu erleben und zu akzeptieren, dass sie gewohnte Alltagstätigkeiten reduzieren oder aufgeben müssen, weil die Kräfte nachlassen. Hochbetagte entwickeln demnach mit der Zeit positive Strategien, um sich mit dem Altern besser zu arrangieren. „Sie lernen zu akzeptieren, dass sie manches nicht mehr schaffen, was ihnen früher leicht gelang. Das ist eine Stärke sehr alter Menschen, die zu ihrer Zufriedenheit beiträgt“, resümiert Daniela Jopp. Die heute im schweizerischen Lausanne lehrende Professorin hat in Berlin studiert. Die Erforschung der Lebensqualität von Hundertjährigen bildet seit vielen Jahren einen Schwerpunkt ihrer Arbeit.
Medizin und Pflege: Chronische Schmerzen ernst nehmen und besser behandeln
Auf ein Risiko der Genügsamkeit und Duldsamkeit der Generation 85 plus weist die Schweizer Wissenschaftlerin trotzdem hin: Die reduzierten Erwartungen können nämlich zur Folge haben, dass Hochbetagte medizinisch nicht optimal versorgt werden. „In unserer Studie berichteten fast 30 Prozent der Hundertjährigen, dass sie oft oder ständig Schmerzen haben. Das finde ich nicht akzeptabel“, betont Jopp. Ob dieser hohe Wert daran liege, dass Hochbetagte glauben, ihre Schmerzen aushalten zu müssen, oder ob sie bei ihren Ärzten nicht ausreichend Gehör fänden, müsse geklärt werden. Auf jeden Fall sollten Ärzte und Pfleger für die hohe Prävalenz von Schmerzen bei sehr alten Menschen sensibilisiert sein.
Hundertjährige haben ihre eigene Vorstellung vom guten Altern
Die von Jopp durchgeführte Studie förderte aber auch zutage, dass gleichzeitige Hör- und Sehbeeinträchtigungen Hochbetagte stark belasten und das Risiko für Depressionen deutlich erhöhen. „Aber wie oft wird im Altenheim überprüft, ob die Sehstärke noch stimmt oder ob ein Bewohner ein neues Hörgerät braucht?“, fragt die Psychologien aus Schweiz. „Hier können Pflegende und Angehörige die Lebensqualität sehr alter Menschen wirksam verbessern, indem sie solche Beeinträchtigungen aufmerksam verfolgen und bei Bedarf die Hilfsmittel anpassen lassen.“
Nach Angaben der DGG erforschen weltweit bisher nur wenige Wissenschaftler die Lebenswelt sehr alter Menschen. Altersforscherin Jopp formuliert deshalb einen eigenen Erwartungshorizont an ihre Kollegen an den Universitäten: „Wir müssen vor allem die Modelle verbessern, die die Lebensqualität dieser Menschen beschreiben“, sagt Jopp. „Bislang arbeiten wir häufig mit drei oder vier Faktoren. Fragt man aber die Hundertjährigen selbst, haben sie häufig sehr viel mehr Ideen, was zu einem guten Altern beiträgt.“ Um wirksame Interventionen zu entwickeln, sei es daher notwendig, sich viel stärker als bisher an den Vorstellungen der Hochbetagten und dem Fundus ihrer Ideen und Strategien zu orientieren.
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