Sprach-App erkennt angeblich Corona-Infektion

Früherkennung bei COVID-19 Verdacht anhand der Eigenheiten der Stimme durch künstliche Intelligenz: Das verspricht die App der Universität Augsburg. (Symbolbild) – Foto: ©Microgen - stock.adobe.com
Was ein bisschen klingt wie Science Fiction, ist am Lehrstuhl für „Embedded Intelligence for Health Care and Wellbeing“ der Universität Augsburg offenbar schon Realität. Seit rund zehn Jahren arbeiten dort Forscher um Prof. Dr. Björn Schuller an der Schnittstelle zwischen Informatik und Medizin und entwickeln Diagnostikinstrumente, um Krankheiten per bloßer Stimmanalyse aufzudecken. Das erste dieser neuen Tools war für Kehlkopfkrebs bestimmt – das war 2012. In den Folgejahren kamen Parkinson und Erkältung hinzu und 2016 sogar die Diagnostik von großen Krankheitsbildern wie Depressionen oder Epilepsien. Jetzt haben die Wissenschaftler eine Sprach-APP entwickelt, die anhand eines vorgelesenen Textes oder auch freier Sprache die Wahrscheinlichkeit errechnet, mit dem neuartigen Coronavirus infiziert zu sein. Die Trefferquote liegt laut einer Mitteilung der Universität Augsburg bei über 80 Prozent.
Entwickelt für Arztpraxen – fürs Testen aus sicherer Distanz
Das Motiv für die Entwicklung klingt dabei keineswegs nach Spielerei, sondern nach einem so ungewöhnlichen wie praxisnahen Anti-Corona-Instrument: Ziel der Forscher war es, eine für niedergelassene Ärzte und Interessierte geeignete unkomplizierte Anwendung auf der Basis von Smartphone-Technologie zu entwickeln, die das Erkennen einer COVID-19-Infektion berührungslos, in Echtzeit und sogar auf Distanz ermöglicht – und damit mit möglichst geringem Risiko fürs medizinische Personal.
Computer lernte erst anhand von Stimmen aus Wuhan
Im März 2020 begann Björn Schuller Stimmenaufnahmen aus Wuhan, die er von chinesischen Kollegen erhielt, auszuwerten: Insgesamt verarbeitete sein Team zunächst etwa 50 Stimmen von COVID-19-Patienten und etwa 50 Stimmen von nicht infizierten Patienten. „Diese Auswertungen waren erste Lernbeispiele für unseren Computer. Je mehr Stimmen wir auswerten können, umso genauer kann die App später funktionieren“, sagt Schuller. Mittlerweile kommen die Stimmproben allerdings nicht mehr aus Wuhan – sie kommen aus Augsburg, das acht Monate später inzwischen selbst zu einem Corona-Hotspot geworden ist.
App registriert Kurzatmigkeit, Husten, Müdigkeit
Und so funktioniert die Spracherkennungs-App, die Künstliche Intelligenz (KI) zur Diagnostik nutzt: Mithilfe sogenannter neuronaler Netze lernt sie, die wesentlichen Merkmale in der Stimme zu repräsentieren, um dann anhand dieser eine Entscheidung zu treffen. „Man kann sich vorstellen, dass sie COVID-19 Einflüsse auf die Stimmbildung heraushören kann, etwa Kurzatmigkeit, oder auch einfach Ermüdung und natürlich Husten oder Ähnliches“, sagt KI-Experte Schuller. Die Funktionsweise der App basiert auf tiefenneuronalen Netzwerken. Diese erlernen – ähnlich wie im menschlichen Gehirn –, hochparallel Information zu verarbeiten. In Ebenen bilden sie das Sprachsignal mit zunehmender Komplexität ab und können nach dem Anlernen mit vielen Daten neue Probleme wie COVID-19 selbstständig darstellen und erkennen.
Somit lernt der Computer oder hier die App, COVID-19 schon nach wenigen Worten oder Sätzen auch von neuen Personen aus der Stimme zu erkennen. Parallel hat Schuller eine weitere App für den Privatgebrauch entwickelt, die über einen längeren Zeitraum zuhört und Häufigkeiten von hörbaren Symptomen wie Husten, Niesen, Kurzatmigkeit, oder verstopfte Nase beobachtet und aus dem „Gehörten“ Rückschlüsse zieht und die Nutzerin oder den Nutzer über den Verdacht auf eine Coronavirus-Infektion informiert.
Hilfreich als Schnelltest im Notfall oder in der Notaufnahme
Auch bei der Ankunft oder Aufnahme von Patienten im Krankenhaus eignet sich die APP offenbar zur Schnellbeurteilung: „Aus Sicht der Notfall- und Akutmedizin wäre ein solches Instrument sehr hilfreich, da ein Sprachtest sehr schnell durchzuführen und wenig belastend ist und innerhalb weniger Minuten ein Ergebnis vorliegt“, sagt Markus Wehler, Direktor der Zentralen Notaufnahme des Universitätsklinikums Augsburg. Mit der APP sei keine Blutabnahme nötig, kein Röntgenbild und auch sonst keine aufwendige Diagnostik, was von großem Vorteil sei.
„Selbst wenn das Ergebnis nicht so genau wie bei einem Abstrich ist, könnte man dennoch sehr schnell die Verdachts- von den Nicht-Verdachtsfällen trennen“, so der Notfallmediziner. Erst vor vier Wochen erschien eine britische Studie, die den Vorteil schneller Klarheit für Patienten und Klinik bestätigt: Die Verkürzung der Diagnosezeit sei der Schlüssel zur Bekämpfung von COVID-19, da Patienten schnell isoliert und die Behandlung sofort begonnen werden kann.
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