Spielsucht im Profi-Fußball weit verbreitet
Auffällig ist das schon: Die Mehrzahl der deutschen Bundesliga-Vereine wird inzwischen von Wettanbietern gesponsert. Als erster Profi-Club verkaufte Hertha BSC seine wertvollste Werbefläche, die Trikotbrust, an einen privaten Sportwetten-Anbieter. Den Amateurfußballern der Stadt war zum selben Zeitpunkt genau dies verboten. Im März 2019 drohten die Glückspielaufsichten der Länder dem Deutschen Fußballbund (DFB) mit Konsequenzen: weil die Nationalmannschaft für einen Glücksspielanbieter werben wollte, der auch illegales Glücksspiel im Angebot hat. Aber nicht nur für die Masse der ganz normalen Fans im Stadion oder vorm Fernsehschirm, an den die Bandenwerbung vor allem adressiert ist, kann das krankhafte Zocken ein Problem sein. „Die Profispieler selbst gehören zur Risikogruppe der Spielsüchtigen“, sagt Sportpsychiater Tobias Freyer. Der Ärztliche Direktor der Oberberg-Parkklinik Wiesbaden fordert Vereine und Verbände deshalb auf, das Problem nicht länger zu tabuisieren, sondern Verantwortung zu übernehmen. Freyer wörtlich: „Um die Fußballer zu schützen, besteht Handlungsbedarf“.
Profi-Kicker: Gierig nach Erfolgserlebnissen
„Profikicker sind leistungsorientiert und gierig nach Erfolgserlebnissen. Ein perfekter Pass, ein Traumtor, all das kann eine Art Rausch erzeugen“, sagt der Sportpsychiater. Ihr Belohnungssystem sei daher besonders sensibilisiert. „Um das Hochgefühl auch abseits des Fußballplatzes zu erleben, suchen sie den Kick woanders, zum Beispiel im Glücksspiel, beim Wetten oder Gaming."
Poker im Casino, Wettduelle mit Mannschaftskollegen
Hinzu kommen die besonderen Lebensumstände der Profis: Im Laufe ihrer Karriere wechseln sie häufig Vereine, Städte und sogar Länder, haben Zugang zu hohen Geldsummen und verfügen über viel Freizeit. Zocken gegen die Langeweile steht daher hoch im Kurs. Vor allem Poker, sowohl im Casino als auch am virtuellen Tisch, ist bei vielen Fußballern beliebt. Viele vertreiben sich die Zeit mit Wetten, angefangen bei privaten Wettduellen mit Mannschaftskollegen um mehrere tausend Euro bis hin zu professionellen Sportwetten.
Zudem erfreuen sich Videospiele wie FIFA oder das Koop-Survival-Game Fortnite großer Beliebtheit bei den Spitzenfußballern. Als begeisterte Anhänger gelten unter anderem die Premiere-League-Profis Harry Kane und Dele Alli mit tausenden absolvierten Sessions. Genau wie FC Barcelona-Star Neymar zeigen sie sich regelmäßig beim Gaming an PC und Konsole in den sozialen Netzwerken.
Gefahren von Spielsucht: Leistungsabfall, Beziehungsprobleme
Exzessives Computer- oder Videospielen kann einen Krankheitswert haben. Seit 2018 ist Computerspielsucht Bestandteil des ICD-Katalogs der Weltgesundheitsorganisation WHO und damit offiziell als Krankheit anerkannt. Krankhaftes Spielen entwickelt sich schleichend. Anders als Probleme mit Alkohol oder anderen Süchten, die am Geruch oder an Verhaltensauffälligkeiten konkret ablesbar sein können, bleibt die stofflose Spielsucht meist lange unentdeckt. Wenn Kicker die Nächte durchspielen und müde zum Training kommen, merkt das zunächst keiner. Auf Dauer können Schlafmangel und fehlende Regenerationsphasen nach Meinung von Experten jedoch zu einem deutlichen Leistungsabfall führen. Dazu gesellen sich familiäre oder Beziehungsprobleme, die sich negativ auf die sportliche Performance auswirken.
Begleitrisiken von Spielsucht: Depressionen, Ängste, Suizidneigung
Dennoch behalten viele Betroffene ihre Sucht aus Angst vor einem vorzeitiges Karriere-Aus und der Reaktion der Öffentlichkeit für sich. Ein Verhalten mit potenziellen Folgen für die Fußballer, aber auch die Vereine, weiß Sportpsychiater Freyer: „Das Risiko, dass pathologische Spieler Sekundärerkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Abhängigkeit von Stoffen entwickeln, ist hoch. Unbehandelt kann Spielsucht sogar in den Suizid führen." Die Oberberg-Fachkliniken, bei denen Freyer Ärztlicher Direktor ist, sind eine deutschlandweit tätige Klinikgruppe mit Hauptsitz in Berlin. Sie betreiben vierzehn Kliniken im Bereich Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an zwölf Standorten.
Vereine: Leistung im Fokus – nicht die seelische Gesundheit
Tobias Freyer kennt das Problem mit der Spielsucht bei Fußballern aus erster Hand: Als Sportpsychiater berät er den Bundeszweitligisten SV Wehen Wiesbaden. Handlungsbedarf sieht er vor allem bei den Vereinen: „Der Umgang mit suchtkranken und psychisch kranken Menschen ist im Spitzensport genauso ein Tabu wie im Rest der Bevölkerung. Die meisten Clubs legen mehr Wert auf Leistungsoptimierung als auf die seelische Gesundheit ihrer Spieler."
Hilfsangebote für Vereine und Verbände existieren
Eine Anlaufstelle zur Suchtberatung gebe es selten, sagt Freyer weiter. Dabei seien mit den Qualifizierungen von Sportpsychiatern, zum Beispiel im 2010 gegründeten Fachreferat für Sportpsychiatrie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), in den letzten Jahren weitreichende Hilfsangebote für Vereine und Verbände geschaffen worden.
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