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Soziale Medien: Schönheitsideale fördern Essstörungen

Donnerstag, 6. Mai 2021 – Autor:
Das Bedürfnis nach perfekter Selbstinszenierung in den sozialen Medien kann bei Jugendlichen zu Essstörungen führen. Das zeigt eine Studie der Hochschule Landshut. Unrealistische Schönheitsideale und Schlankheitswahn senken demnach das Wohlbefinden und erhöhen die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Nicht nur junge Frauen sind davon betroffen.
Zwei Influencerinnen, kunterbunt inszeniert.

Spieglein, Spieglein in der Hand, wer ist die Schönste im ganzen Land? Ist das echt? Ist das Fake? Muss wirklich jede(r) so aussehen, damit die Welt in Ordnung ist? Der ständige Vergleich der eigenen realen Person mit surrealen Schönheitsidealen in sozialen Medien können dem Selbstwert schaden und zu Essstörungen führen. – Foto: AdobeStock/Jacob Lund

Die Pubertät ist die Zeit, in der sich Vitalität, Energie und Persönlichkeiten entwickeln. Pubertät heißt aber auch: Pickel, Einsamkeit, Liebeskummer und Gefühle, die kaum auszuhalten sind. Danach hungern, in der Clique toll gefunden und vom anderen Geschlecht begehrt zu werden. Und: tiefe Verunsicherung. Zur Orientierung braucht es Idole. Bildgetriebene soziale Netzwerke spielen hier eine immer größere Rolle. Das Problem dabei ist: Professionell inszenierte Auftritte von Influencern oder Bildbearbeitungs-Apps für Bilder von „Normalos“ vergrößern die Kluft zwischen Schönheitsidealen und Wirklichkeit – mit gravierenden Auswirkungen auf die Gesundheit junger Menschen.

Erste Studie zu sozialen Medien und Essstörungen

Ein Team von Psychologen und Medienforschern der Hochschule Landshut und des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI München) hat jetzt nach eigenen Angaben die erste Studie zum Thema „Soziale Medien und Essstörungen" in Deutschland durchgeführt. Dazu befragte des Forschungsteam insgesamt 175 von Essstörungen betroffene Personen.

Social-Media-Konsum kann Unzufriedenheit mit eigenem Körper steigern

Das Team fand heraus, dass soziale Netzwerke wie YouTube, WhatsApp, TikTok und Instagram durchaus negative Auswirkungen auf junge Menschen haben können: „Die intensive Beschäftigung mit sozialen Medien kann das Wohlbefinden senken und die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper erhöhen“, sagt Eva Wunderer, Psychologin und Professorin an der Hochschule Landshut. Das gelte insbesondere für soziale Medien, die stark auf Bildern basierten wie beispielsweise Instagram.

Auch junge Männer leiden unter unwirklichen Körperidealen

Der Studie zufolge sind von diesem Problem keineswegs mehr nur junge Frauen betroffen: „Auch junge Männer werden tausendfach mit Bildern vermeintlich perfekter, durchtrainierter Körper konfrontiert und verinnerlichen diese Körperideale“, betont die Forscherin. Das präge die eigene Wahrnehmung und die eigenen Ansprüche.

Vor allem zwei Wirkmechanismen bildgetriebener Social-Media-Kanäle, die den Vergleichsstress ich-andere verursachen, haben die Wissenschaftler herausgearbeitet: Die perfekten Auftritte von scheinbar ideal wirkenden Influencern. Und die Flut von Fotos von Gleichaltrigen aus dem wirklichen Leben, etwa der Klasse oder der Schule, die ständig den Ich-andere-Vergleich provoziert und offenbar nicht weniger problematisch ist.

„Influencer“: Einfluss auf Millionen-Publikum

Als besonders kritisch bewerten die Forscher die Rolle der sogenannten Influencern, den Selfmade-Stars, die in Bild- und Videokanälen ihre Auftritte absolvieren und zum Teil ein Millionenpublikum von Anhängern und Anhängerinnen erreichen. In einem Ranking des Zahlenportals „Statista“ von 2020 hatten die mächtigsten Influencer auf Instagram eine Jüngerschaft zwischen 7 und 22 Millionen Usern. Darunter sind Fußballstars wie Torwart Manuel Neuer, die blonden Zwillings-Girlies „Lisa und Lena“ und Top-Model Heidi Klum.

Influencer: Geben sich als Freunde, haben aber knallharte Interessen

 „Influencerinnen und Influencer präsentieren sich als Freundinnen und Freunde, obwohl in der Regel wirtschaftliche Interessen und oft ein knallhartes Management dahinterstecken“, kritisiert Psychologin Wunderer. „Influencerinnen und Influencer machen das ja beruflich, mit Coaching, vielleicht sogar mit Visagist und Fotografin.“ Aber das ganz normale Mädchen erlebe nur die Show und stelle sich die Frage: Müsste ich nicht genauso toll aussehen und mein Bild genauso perfekt sein? Das zweite Feld sind Fotos „von dem Mädchen von nebenan oder dem Jungen aus der Nachbarklasse, von denen ich mich als junger Mensch noch weniger distanzieren kann“, ergänzt Wunderer. Ihre Studie zeigt, dass junge Menschen auch hier – durch Bildbearbeitung idealisierte Normalo-Bilder – „als schöner und sogar als ‚natürlicher‘ wahrnehmen.

Jugendliche geraten in Teufelskreis

In der Studie zeigte sich dabei ein Teufelskreis: „Junge Menschen betrachten vermeintlich perfekte Bilder von vermeintlich perfekten Körpern. Sie fühlen sich selbst minderwertig und verändern ihr Ess- und Trainingsverhalten. Damit findet ein Transfer statt vom virtuellen ins reale, analoge Leben. Sie bekommen „Likes“ und positives Feedback. Das befriedigt wesentliche Grundbedürfnisse nach Selbstwerterhöhung, Spaß und Zugehörigkeit. Gleichzeitig wächst die Angst, die Anerkennung zu verlieren, nicht gut genug zu sein. So geht es weiter in der Abwärtsspirale, schlimmstenfalls hinein in ein essgestörtes Verhalten“, erklärt Wunderer.

Soziale Medien können Risiko für Essstörungen erhöhen

Die Professorin betont, dass es zwar keinen unmittelbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen der Nutzung von sozialen Netzwerken und Essstörungen gebe. Aber: Soziale Medien seien Teil der Faktoren, die Essstörungen auslösen könnten. „Essstörungen sind schwerwiegende, lebensbedrohliche psychosomatische Erkrankungen, die vielfältige Ursachen und Auslöser haben. Soziale Medien machen noch keine Essstörung, aber sie können das Fass zum Überlaufen bringen.“

Essstörungen: Viele Einrichtungen haben „lange Wartelisten"

Gepusht hat diesen Trend offenbar noch die Corona-Pandemie. Jugendliche sind oft räumlich und sozial eingeengt, können die üblichen Entwicklungsschritte nicht durchlaufen und orientieren sich noch stärker an den sozialen Medien. Bis zu vier Stunden täglich verbringen Kinder und Jugendliche unter Pandemiebedingungen derzeit im Internet oder vor dem Smartphone, zeigt eine Studie des „Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest". „Alle Studien aktuell zeigen, dass es vielen Jugendlichen psychisch schlechter geht. Sie haben Angst, sind traurig und fühlen sich einsam. Essstörungen scheinen deutlich zuzunehmen“, sagt Psychologin Wunderer. Viele Einrichtungen hätten inzwischen „lange Wartelisten“.

Aussehen, Körper, Fitness: „Wir müssen das hinterfragen"

Um Jugendliche vor diesem Teufelskreis zu schützen, brauche es ein Umdenken in der Gesellschaft: „Solange Aussehen, Körper und Fitness eine so herausragende Rolle bei der Selbstwertung und Selbstdarstellung spielen, werden Jugendliche es schwer haben, sich davon abzugrenzen. Wir müssen also alle hinterfragen, was die wirklich wichtigen Werte sind“, so Wunderer. Darüber hinaus gelte es, die Medienkompetenz zu fördern und die Diversität in den sozialen Medien zu erhöhen.

Essstörungen bei Jugendlichen? Was Eltern tun können

Besteht bei einem Kind oder jungen Menschen ein Verdacht auf eine Essstörung, sollte unbedingt professionelle Hilfe, zum Beispiel bei spezialisierten Beratungsstellen gesucht werden. Eine Übersicht findet sich auf den Seiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Wunderer appelliert: „Essstörungen sind Erkrankungen, keine Schande und kein persönliches oder familiäres Versagen. Und: Sie können geheilt werden.“

Stichwort „Anti-Diät-Tag“

Den Internationalen Anti-Diät-Tag am 6. Mai gibt es seit 1992. Er geht auf die Kampagne „Diet Breaker“ zurück, die die britische Autorin Mary Evans Young damals ins Leben rief. Sie litt selbst an Magersucht und wollte auf die gefährlichen Folgen von Schlankheitswahn und falschen Schönheitsidealen aufmerksam machen.

Hauptkategorie: Medizin
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