
Anzügliche Sprüche und unerwünschter Körperkontakt: Sexuelle Belästigungen kommen weitaus häufiger vor, als die meisten Menschen denken – Foto: ©Dan Race - stock.adobe.com
Studien haben bereits Hinweise darauf geliefert, dass es im medizinischen Bereich ein erhöhtes Risiko für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gibt. Allerdings lagen bislang keine Daten für die Häufigkeit von Grenzverletzungen im klinischen Alltag in Deutschland vor. Wissenschaftlerinnen der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben nun Daten über sexuelle Grenzverletzungen bei Frauen und Männern im klinischen Alltag erhoben. Die Ergebnisse der Studie „Watch – Protect – Prevent“ (WPP) wurden nun in der Fachzeitschrift JAMA Internal Medicine veröffentlicht. Für die Studie waren 743 Ärztinnen und Ärzte der Charité von Mai bis Juli 2015 online und anonym befragt worden.
In der Umfrage ging es um Erfahrungen während des gesamten Berufslebens, also auch vor der Tätigkeit der Befragten an der Charité. Erhoben wurden zudem die Folgen der sexuellen Belästigung, die Profile der Verursacher sowie die Verfügbarkeit von strukturellen und organisationalen Informationen. 60 Prozent der Teilnehmenden waren weiblich, 39 Prozent männlich und ein Prozent hatte eine andere Geschlechtsidentität angegeben.
Verbale Belästigungen am häufigsten
70 Prozent der Befragten gaben an, im Laufe ihres gesamten Arbeitslebens eine Form der sexuellen Belästigung erfahren zu haben. Bei den befragten Frauen waren rund 76 Prozent betroffen, bei den Männern 62 Prozent. Es zeigt sich, dass verbale Belästigungen die häufigste Form von Grenzverletzungen am Arbeitsplatz sind. Dazu gehört eine abwertende Sprache (63 Prozent) sowie anzügliche Sprüche (25 Prozent).
Weiterhin haben die Befragten angegeben, Grenzverletzungen durch unerwünschten Körperkontakt (17 Prozent), Erzählungen mit sexuellem Inhalt (15 Prozent) sowie Nachpfeifen und Anstarren (13 Prozent) erlebt zu haben. Andere Formen von Fehlverhalten wurden wie folgt angegeben: sexuelle Angebote und unerwünschte Einladungen (7 Prozent), Belästigungen in schriftlicher Form, Bildern oder Witzen (6 Prozent), obszöne Gesten (5 Prozent). Die Betroffenen wurden am häufigsten von Kolleginnen und Kollegen belästigt. Bei Frauen spielten zudem männliche Vorgesetzte eine zentrale Rolle.
Grenzverletzungen im medizinischen Bereich keine Seltenheit
„Auch, wenn die Anzahl der empfundenen Belästigungen hoch und jeder einzelne Fall zu viel ist, haben uns diese Zahlen wenig überrascht. Internationale Studien deuteten bereits darauf hin, dass Grenzverletzungen im medizinischen Arbeitsumfeld aufgrund der speziellen Arbeitsbedingungen eine Sonderstellung einnehmen: Hier arbeiten Menschen sehr vertrauensvoll zusammen und haben berufsbedingt einen engen Kontakt zu Patientinnen und Patienten“, erklärt Sabine Jenner, dezentrale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte an der Charité und Studienbeteiligte. „Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir das Thema offen kommunizieren und alle Beschäftigten der Charité für unsere Maßnahmen zum Schutz vor Belästigungen am Arbeitsplatz sensibilisieren.“
Beratungs- und Hilfsangebote sollen Betroffene unterstützen
„Wir als Vorstand der Charité tolerieren keine Form von sexueller Belästigung und vergleichbaren Grenzverletzungen – ob in der Klinik, im Institut, im Seminarraum oder im Verwaltungsbereich“, erklärt Prof. Dr. Max Einhäupl, Vorstandsvorsitzender der Charité. „Wir alle sind gefordert, als Vorgesetzte oder als Kolleginnen und Kollegen einzuschreiten, sollten wir Zeugin oder Zeuge von solchen Vorfällen werden. Der Vorstand der Charité sieht sich in der Pflicht, hierfür die entsprechenden Beratungs- und Hilfsangebote bereitzustellen.“
Durch Aufmerksamkeit, Schutzangebote und vorbeugende Maßnahmen sollen sexuelle Grenzverletzungen aufgedeckt, eingeschränkt und bestmöglich vermieden werden. Die Charité hat seit 2016 zahlreiche Präventionsmaßnahmen gegen sexuelle Grenzverletzungen am Arbeitsplatz ergriffen. Als deutschlandweit einziges Universitätsklinikum hat sie eine Richtlinie zur Vorbeugung von Grenzverletzungen verabschiedet. Hierin hat der Vorstand null Toleranz gegenüber sexueller Belästigung festgelegt.
Darüber hinaus können die Beschäftigten der Charité ein Whistle-Blower-Programm zur anonymen Meldung von Verdachtsfällen nutzen oder sich an einen Vertrauensanwalt wenden. Die zuständigen Beratungsstellen, der Beschwerdeablauf und die Richtlinie sind auf der Intranet-Startseite zu finden.
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