Seit 2000: 66 Prozent mehr Tote durch Umweltverschmutzung

Wenn man eine Aluminiumfabrik von der Nordsee nach Asien verlagert, werden weniger Deutsche vergiftet – aber genauso viele Menschen. (Symbolfoto) – Foto: Pixabay.com
Ansteckende Krankheiten machen uns wegen der Übertragung durch unsichtbare Erreger schnell nervös – Beispiel Corona. Nicht-ansteckende nehmen wir gelassener. Dabei erreichen auch sie pandemieähnliche Dimensionen – Beispiel Umweltverschmutzung.
Umweltverschmutzung: Neun Millionen Tote im Jahr weltweit
Seit der Jahrtausendewende ist die Zahl der vorzeitigen Todesfälle durch Umweltverschmutzung aus Industrie, Verkehr und Landwirtschaft um 66 Prozent gestiegen. Das zeigt eine internationale Studie, an der auch Wissenschaftler der Universität München (LMU) mitgewirkt haben. An umweltbedingten Krankheiten sterben demnach jährlich mehr als neun Millionen Menschen – das ist jeder sechste Todesfall weltweit. Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt im Fachblatt „Lancet Planetary Health“ veröffentlicht.
„Allein an Blei sterben weltweit mehr Menschen als an Malaria“
Treiber der Todesstatistik sind besonders die Luftverschmutzung durch Verkehr und Industrie sowie die Belastung mit Schwermetallen. „Allein an Blei sterben weltweit mehr Menschen als an Malaria“, sagt Stephan Böse-O'Reilly, Leiter der Arbeitsgemeinschaft „Globale Umweltmedizin und Klimawandel“ am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der LMU. Der Studie zufolge spielen sich über 90 Prozent dieser Todesfälle in Ländern mit niedrigen oder mittleren Einkommen ab.
Lage in Indien offenbar besonders dramatisch
„In Indien zum Beispiel ist die Lage dramatisch“, heißt es in einer Mitteilung der LMU. Dort lebten viele Menschen eng zusammen, die Belastung des Wassers sei hoch, die mit Verkehrsbelastung verbundene Luftbelastung extrem groß. Im Innenraum werde oft mit Holzkohle gekocht, im Außenraum sei die industrielle Belastung durch Schadstoffe weder hinreichend reguliert noch überwacht.
Kritik: „EU hat Umweltverschmutzung ausgelagert“
In der EU hingegen ist die Umweltverschmutzung nach den Ergebnissen der Studie offenbar ein vergleichsweise geringes Problem. „Die Umweltbelastung in der Europäischen Union hat sich deutlich verbessert“, sagt Umweltmediziner Böse-O’Reilly, „gerade die Luftbelastung ist einerseits durch Regulierungsmaßnahmen besser geworden. Deshalb haben wir vergleichsweise weniger Todesfälle durch Umweltbelastung, schon gar nicht durch Quecksilber oder Blei, und wenn, dann durch Feinstaub in der Außenluft.“
Andererseits steht Europa den Wissenschaftlern zufolge auch deshalb so gut da, weil sich die industrielle Produktion in Länder mit niedrigen bis mittleren Einkommen verlagert hat. „Wenn man eine Aluminiumfabrik an der Nordsee zumacht und sie in Asien wieder öffnet, wird die damit verbundene Belastung zu einem gesundheitlichen Problem der dortigen Bevölkerung“, betont Professor Böse-O’Reilly, „die Produkte werden aber weiterhin von uns verwendet.“ Umweltverschmutzung ist mithin ein globales Problem, mit einer weitreichenden Verantwortung auch für die reichen Industriestaaten.
Umweltverschmutzung und Klimawandel eng verbunden
„Wenn wir den Menschen mehr gesunde Lebensjahre schenken wollen, muss die Politik das globale Problem der Umweltverschmutzung anpacken“, sagt Böse-O’Reilly. Die Umweltverschmutzung sei eng verbunden mit dem Klimawandel, weil die Luftschadstoff-Emissionen sehr viel mit dem Ausstoß von Kohlendioxid zu tun haben. Der Münchner Umweltmediziner sagt vorher: „Wenn wir die CO2-Situation verbessern würden, würde sich automatisch auch die Umweltverschmutzung verringern.“