Schwere Covid-Verläufe möglicherweise genetisch bedingt

Es gibt neue Hinweise, dass unsere Gene den Krankheitsverlauf einer Coronainfektion beeinflussen – Foto: © Adobe Stock/ ipopba
Die Frage, warum die einen nur leicht und die anderen schwer an Covid-19 erkranken, beschäftigt die Forschung nach zweieinhalb Jahren Corona-Pandemie immer noch. Risikofaktoren wie Alter, männliches Geschlecht, Schwangerschaft oder Vorerkrankungen können nicht alles erklären. Es wird darum vermutet, dass es auch eine gewisse erbliche Veranlagung für einen schweren Verlauf gibt. Zum Beispiel wurde beobachtet, dass die Anfälligkeit für eine Infektion von der Blutgruppe abhängt, die ja vererbt wird.
Genetische Daten von 100.000 Covid-Patienten analysiert
Wissenschaftler vom Berlin Instiute of Health in der Charité (BIH) haben sich nun zusammen mit Forschern aus Großbritannien und Kanada Zugang zu genetischen Daten von etwa 100.000 COVID-19-Patienten verschafft, die Forscher weltweit erhoben hatten. In den Datensätzen war neben der DNA auch der Krankheitsverlauf dokumentiert.
„Unser Erbgut enthält seltene und häufige Veränderungen in seinem Buchstabencode, die allermeisten davon bleiben ohne jede Konsequenz, allerdings gibt es etwa 17 Bereiche, die mit einem höheren Risiko für schwere Krankheitsverläufe für COVID-19 in Verbindung gebracht wurden. Der zugrunde liegende Mechanismus war bisher aber oft völlig unklar“, berichtet Maik Pietzner von der Abteilung für Computational Medicine am BIH.
Acht interessante Proteine identifiziert
Pietzner und sein Team wollten nun herausfinden, was genau die auffälligen Abschnitte auf der DNA eigentlich bewirken. Mit einer bereits zuvor entwickelten Methode stießen die Forscher auf insgesamt acht interessante Proteine. Darunter war ein Eiweiß, das für die Blutgruppe verantwortlich ist. „Das wusste man ja schon und dieses trägt auch nur zum Infektionsrisiko und nicht zu schweren Verläufen bei“, erklärt BIH- Professorin Claudia Langenberg, Leiterin der Abteilung Computational Medicine. „Viel relevanter war das Protein ELF5. COVID-19 Patienten, die ins Krankenhaus eingeliefert und beatmet wurden oder vielleicht sogar starben, hatten wesentlich häufiger eine Veränderung im entsprechenden Gen, dem Bauplan von ELF5“, so die Professorin.
Mit Hilfe von Einzelzell-Analysen schauten sich die Forscher das Gen dann genauer an. Dabei stellte sich heraus, dass ELF5 in allen Oberflächenzellen der Haut oder der Schleimhäute vorkommt, insbesondere aber in der Lunge gebildet wird. „Da das Virus ja vor allem in der Lunge Schaden anrichtet, erschien uns das auch sehr plausibel“, so Lorenz Chua, Experte für Single Cell Analysen am BIH.
Eingreifen unmöglich
Da ELF5 ein so genannter Transkriptionsfaktor ist, ist er aber nicht als Angriffspunkt für neue Medikamente geeignet. Er steuert, wie häufig oder wie selten andere Gene an- und abgeschaltet werden, und zwar im ganzen Körper. „Da ist es leider nur schwer vorstellbar, hier einzugreifen, denn das hätte mit Sicherheit viele unerwünschte Nebenwirkungen“, betont Professor Christian Conrad, Leiter der Abteilung für Intelligent Imaging.
Ein Protein scheint vor schwerem Verlauf zu schützen
Das interdisziplinäre Forscherteam fand jedoch einen weiteren interessanten Kandidaten unter den acht verdächtigen Genen: Das Eiweiß G-CSF dient als Wachstumsfaktor im Blutsystem. COVID-19-Patienten, die genetisch bedingt mehr G-CSF produzierten, erkrankten der Analyse zufolge weniger schwer. Und synthetisches G-CSF gibt es bereits lange als Medikament.
Die Übertragung solcher genetischer Ergebnisse in die Klinik liege noch eher fern, betont Claudia Langenberg, doch möglicherweise ließe sich hier über eine Anwendung bei COVID-19-Patienten spekulieren. Zudem verdeutliche die Arbeit, „wie kleinste Veränderungen in unserem Erbgut den Verlauf einer Krankheit, in diesem Beispiel COVID-19, verändern.“