Schmerzmittelabhängigkeit: Bedenkliche Entwicklung in Deutschland

Frei verkäuflich und gefährlich: Bei rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland liegt eine Schmerzmittelabhängigkeit vor
Eine Packung Aspirin, ein Päckchen Ibuprofen, eine Salbe Diclofenac – Schmerzmittel (Analgetika) gehören zu den Beststellern in deutschen Apotheken. Die Mittel werden zur Behandlung von Kopfschmerzen , Rückenschmerzen oder Gelenkschmerzen eingesetzt und meist rezeptfrei gekauft. Eine Auswertung des Epidemiologischen Suchtsurveys (ESA) 2018 durch das Institut für Therapieforschung in München zeigt nun, wie verbreitet der Schmerzmittelgebrauch in Deutschland ist - und wie gefährlich.
26 Millionen Deutsche greifen zu Schmerzmitteln
Demnach haben 31,4 Prozent der Befragten in den letzten 30 Tagen freiverkäufliche Schmerzmittel eingenommen und weitere 17,5 Prozent verschreibungspflichtige Analgetika. Hochgerechnet auf Deutschland bedeutet das, dass etwa 26 Millionen Menschen Schmerzmittel einnehmen – die Mehrheit (16,2 Millionen) ohne ärztliches Rezept. Bei geschätzt 1,6 Millionen der 18 bis 64-jährigen liegt eine Schmerzmittelabhängigkeit vor.
Die immer wieder angestoßene Befürchtung, dass sich Entwicklungen wie in den USA zur Schmerzmittelsucht – insbesondere durch Opioide – bewahrheiten, werde nicht bestätigt, kommentiert die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) das Ergebnis der jetzt im Deutschen Ärzteblatt erschienen Studie. Allerdings bestehe eine „bedenkliche Entwicklung zu freiverkäuflichen Medikamenten im Analgetikabereich.“
Folge: medikamenteninduzierte Kopfschmerzen und Schmerzmittelabhängigkeit
Wer über einen längeren Zeitraum an mindestens 15 Tagen im Monat rezeptfreie Schmerzmittel wie etwa Ibuprofen oder Paracetamol einnimmt, läuft demnach Gefahr, sich zu schaden. „Es können medikamenteninduzierte Kopfschmerzen ausgelöst oder ein weiterer Medikamentenmissbrauch bis hin zur Abhängigkeit induziert werden“, warnt DGS-Präsident Dr. Johannes Horlemann. Leider sei das Wissen zu wenig verbreitet, so der Schmerzmediziner, „dass auch nicht-opioidhaltige freiverkäufliche Analgetika zur Sucht führen und sehr häufig psychische Folgeerkrankungen auslösen bzw. gemeinsam mit ihnen auftreten.“
Opiate sind hierzulande nicht das Problem
Nach den Zahlen des Surveys hat Schmerzmittelabhängigkeit die Alkoholabhängigkeit längst überholt. Anders als in den USA sind in Deutschland aber nicht Opiate das Problem, sondern Top-Seller wie Ibuprofen. „Somit unterstützt die Datenlage eine seriöse Opioidtherapie im schmerzmedizinischen Bereich“, betont Horlemann. Die unkontrollierte Abgabe von Schmerzmitteln hält er jedoch für gefährlich.
„Wir unterstützen deshalb die Initiative des Gesundheitsministers, die freie Abgabe von Schmerzmitteln an Patienten verstärkt zu kontrollieren bzw. zu beenden“, sagt er. „Denn die gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Folgen dieses Missstandes sind eine schwere Belastung für die gesamte Gesellschaft.“
Antidepressiva kommen gleich hinter Schmerzmitteln
Antidepressiva sind nach Schmerzmitteln übrigens das zweithäufigste eingenommene Medikament. 4,1 Prozent der Befragten, das heißt 2,1 Millionen Menschen in Deutschland, nehmen nach den ESA-Zahlen solche Stimmungsaufheller ein.
Mit dem Epidemiologischen Suchtsurvey (ESA) wird seit den 1980er Jahren in regelmäßigen Zeitabständen der Konsum von Alkohol, Tabak, illegalen Drogen sowie Medikamenten in der Allgemeinbevölkerung Deutschlands erfasst. Im Vordergrund steht dabei die Beobachtung von Trends des Substanzkonsums und seiner Folgen.
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