Säuglinge: Gesunder Lebensstart bringt lebenslang Vorteile

Kinder, die im Säuglingsalter eine gute Gesundheitsversorgung erleben, haben bessere Chancen, im Erwachsenenleben erfolgreich zu sein. – Foto: JenkoAtaman
Eine aktive Gesundheitsfürsorge eines Staates für Kinder im Säuglingsalter kann Biographien einer ganzen Generation positiv beeinflussen – bis ins Rentenalter hinein. Das hat ein Team von Wissenschaftlern der Universität Duisburg-Essen (UDE) herausgefunden. Krankheiten in diesem Lebensabschnitt können umgekehrt Schäden anrichten – und zwar auch mittel- und langfristige. Der Grund dafür: Säuglinge entwickeln sich schnell. Nach einem Jahr ist ihr Gehirn doppelt so groß, bei Dreijährigen nähert sich das Volumen dem eines Erwachsenen. Kommt es in dieser entscheidenden Entwicklungsphase aber beispielsweise zu Infektionen, schadet das dieser Entwicklung.
Langfristige Folgen der Kindergesundheit können freilich nur anhand von Personen erforscht werden, die vor langer Zeit Säugling waren und die eine Lebensgeschichte hinter sich haben, an der man die positiven oder negativen Folgen ablesen kann. Hierfür werteten die Forscher um den Gesundheitsökonomiker Martin Karlsson in schwedischen Gemeinde-, Schul- und Steuerarchiven Akten aus dem Zeitraum zwischen 1930 und 2005 aus. Warum? In Schweden war vor 100 Jahren die Säuglingssterblichkeit sehr hoch. Die schwedische Regierung reagierte und legte in den 1930er-Jahren ein staatliches Gesundheitsprogramm für Neugeborene und ihre Mütter auf.
Vorläufer der heute üblichen Vorsorgeuntersuchungen
Die Kampagne hatte eine Verbesserung der Hygiene zum Ziel und regelmäßig mögliche Arztbesuche. Das Programm bildete eine Art Vorläufer der heute gängigen Vorsorgeuntersuchungen. Das staatliche Programm führte aber nicht nur zu einer Verringerung der Säuglingssterblichkeit, sondern hatte offenbar weitere positive Nebeneffekte – insbesondere auf die Denkfähigkeit der Kinder.
Mädchen erzielen schon in der Grundschule bessere Noten
„Wir wollten herausfinden, wie eine einfache, kostengünstige staatliche Gesundheitsaktion das Leben der Menschen geprägt hat“, sagt Karlsson, der die internationale Studie von deutschen, schwedischen und britischen Wissenschaftlern leitete. Eine zentrales Ergebnis: Die verbesserte Gesundheitsversorgung beeinflusste die Entwicklung bis ins Rentenalter – und zwar vor allem bei den Mädchen. Viele von ihnen erzielten in der Grundschule bessere Noten als früher der Fall und kamen eher als Jungen auf eine weiterführende Schule; das war damals nur etwa jedem fünften Kind vergönnt.
Gesunde Mädchen – mehr Erfolg im Berufsleben bei Frauen
Der Sekundarschulabschluss eröffnete den Schwedinnen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Kommunale Jobs im öffentlichen Sektor bekamen sie viel wahrscheinlicher, auch in Vollzeit. „Das deckt sich mit unserer Hypothese, dass das schnelle Wachstum des Wohlfahrtsstaats besonders Arbeitsplätze für Frauen schuf“, sagt Karlsson. Zugleich wurden sie vermehrt hochqualifiziert beschäftigt – etwa als Managerinnen in Unternehmen, Banken, der Verwaltung oder im Rechnungswesen.
Wieso profitierten sie so stark? „Mit den Daten können wir ziemlich genau zeigen, wann im Lebenszyklus die Vorteile entstanden sind. Entscheidend sind die Schulleistungen am Ende der Grundschule. Mädchen hatten schon zuvor im Durchschnitt bessere Noten als Jungen – und das Programm hat ihre Chancen, im obersten Fünftel zu sein, erheblich verbessert“, so der Professor.
Globale Lernkrise: Kinder erreichen nie ihr geistiges Potenzial
Karlsson sieht die Ergebnisse der Studie als Ansatz zur Bewältigung der aktuellen globalen Lernkrise, in der Millionen von Kindern wegen Hunger, Durst, Armut, Kriegen und eben schlechter Gesundheitsversorgung ihr kognitives Potenzial nie erreichen. „Unsere Studie zeigt, wie viel eine einfache, kostengünstige Intervention der Gesundheit von Säuglingen nutzt“, sagt Gesundheitsforscher Karlsson. „Fördert ein Staat die Gesundheit seiner Säuglinge, prägt sie das fürs Leben.“