Die Frage ist einfach zu beantworten: Wenn ein Krankenhaus eine Thromboseprophylaxe unterlässt, begeht es einen groben Behandlungsfehler. Dies geht nicht zuletzt aus einem Urteil des Landesgerichts Potsdam vom 5. Mai 2011 hervor. Weniger einfach ist die Frage zu beantworten, welche Einzelmassnahmen eine adäquate Thromboseprophylaxe umfassen sollte. Gehören etwa im Zeitalter der niedermolekularen Heparine die Thromboseprophylaxestrümpfe (MTPS) noch dazu?
Thromboseprophylaxe: S3 Leitlinie
Darum streitet sich nun die Fachwelt. Während Befürworter den physikalischen Effekt der Strümpfe unabhängig von der medikamentösen Therapie bestätigen, sehen Kritiker keine hinreichende Evidenz für die Wirksamkeit der Massnahme. Da die aktuelle S3 Leitlinie "Prophylaxe der venösen Thromboembolie" die Strümpfe nur nach Operationen mit hohem Thromboembolierisiko und bei einer Kontraindikation von Heparinen ausdrücklich empfiehlt - bei allen anderen Eingriffen aber lediglich eine Kann-Empfehlung gibt, ist sie in vielen Bereichen unscharf und lässt den Ärzten erheblichen Ermessensspielraum.
Mehr Klarheit
"Ärzte sollten mehr Klarheit bekommen, wie die aktuelle S3-Leitlinie im Einzelfall zu interpretieren ist und wann MTPS als Add-on zur medikamentösen Therapie medizinisch sinnvoll sind", sagte Dr. Colin Krüger, Chirurg an den Vivantes Kliniken Berlin, am 20. Februar beim zweiten Expertengruppentreffen in München. "Im Zweifel entscheidet der ökonomische Druck und nicht die medizinische Notwendigkeit - das kann verhängnisvolle Folgen für die Patienten haben."
Aus diesem Grund will die im November gegründete Expertengruppe Thromboseprophylaxe für mehr wissenschaftliche Klarheit, aber auch für mehr Rechtssicherheit unter den Ärzten sorgen. Der Gruppe gehören Ärzte, Wissenschaftler, Juristen und Gesundheitsökonomen aus ganz Deutschland an, einige haben an der AWMF S-3 Leitlinie mitgearbeitet.
Bei dem Treffen im Februar einigten sich die Mitglieder darauf, eine biomechanische Testung von MPTS zu veranlassen. "Dann glauben wir nicht nur, sondern wissen auch, welcher Strumpf welche Wirkung hat", sagte Prof. Marc Kraft vom Fachbereich Medizintechnik der TU Berlin, der die Testreihe voraussichtlich durchführen wird. Die Experten wollen sich darüber hinaus für die Durchführung einer klinischen Studie einsetzen. "Im Zeitalter der Evidenz brauchen wir eine bessere Datenlage", bekräftigten sie am Montag.
Thrombose: Strümpfe und Heparin
"Es gibt viele gute Gründe, die für eine Kombination von Strümpfen und Heparin sprechen", betonte Prof. Peter Kujath, Leiter der Thoraxichirurgie am Universitätsklinikum Lüneburg, der an der S3 Leitlinie mitgewirkt hat. Augenblicklich gebe es keinen Anhaltspunkt dafür, die Strümpfe wegzulassen.
Von Thrombosen sind 0,2 Prozent der Bevölkerung betroffen. Experten gehen von bis zu bis zu 40 000 Todesfällen pro Jahr als Folge einer Thrombose aus.