
Männlich, 32 Jahre jung und ADHS: Immer mehr Erwachsene nehmen Ritalin
Das Zappelphilip-Syndrom hört auch mit dem Erwachsenwerden nicht auf. Das ist eine Erkenntnis aus der Datenanalyse, die die IKK Südwest jetzt vorgelegt hat. Danach nehmen immer mehr Erwachsene das ADS/ADHS-Medikament Ritalin oder ein vergleichbares Medikament ein, das ebenfalls den Wirkstoff Methylphenidat enthält. Im Durchschnitt sind heute die erwachsenen Konsumenten 32 Jahre alt und in drei von vier Fällen männlich. Dagegen lag im Jahr 2010 das Durchschnittsalter der erwachsenen Ritalin-Konsumenten noch bei 24 Jahren. Die Ritalin-Verordnungen für Erwachsene sind in allen Bundesländern, in denen die IKK Südwest aktiv ist, extrem angestiegen, am stärksten in Hessen um das 5,5-Fache, gefolgt vom Saarland um das 4,5-Fache und Rheinland-Pfalz um das 4-Fache.
Kinder nehmen seltener Ritalin
Die Verordnungen für Kinder gingen unterdessen deutlich zurück: Hier ergab sich seit 2010 ein Rückgang der Rezepte um 36 Prozent. Stärkste Konsumentengruppe sind nach wie vor hauptsächlich Jungen, die im Schnitt 12 Jahre alt sind, teilt die IKK Südwest mit.
Der Kinderpsychiater Dr. Andreas Vogel aus Saarbrücken glaubt eine Begründung für den Anstieg unter Erwachsenen zu wissen. Patienten seien inzwischen aufgeklärter und gingen heute eher zum Arzt als früher. „Viele Erwachsene erkennen bei sich die Problematik und gehen zum Arzt, weil ihre Lebensqualität leidet“, sagt Vogel, der in Ritalin ein hilfreiches Medikament bei ADS und ADHS sieht. Laut dem Kinderpsychiater hilft das Medikament den Patient sozial, beruflich und familiär zurechtzukommen. „Das kann jemand, der unbehandelt mit ADS/ADHS lebt, nicht“, sagt Vogel. Bei ADHS kann das Gehirn nicht entscheiden, was wichtig ist und was nicht. Das löst die Unruhe aus und macht ein längeres Konzentration auf eine Aufgabe unmöglich.
Überdosierung stellt Patienten ruhig
Dass ADS/ADHS-Medikamente Patienten ruhigstellen, sieht der Kinderpsychiater nicht. Dies sei nur dann der Fall, wenn das Medikament überdosiert sei. Ansonsten bringen Ritalin & Co „den Patienten ein Stück Klarheit zurück und helfen, strukturierter zu Werke zu gehen“, so Vogel. Engmaschige und regelmäßige medizinische Begleitung sei natürlich wichtig. Auch könne man vor der medikamentösen Behandlung mit Präventionsprogrammen wie Instruktions- oder Aufmerksamkeitstraining arbeiten oder erlernen, mit Selbstdisziplin strukturierter durch den Alltag zu gehen.
Dr. Lutz Hager, Geschäftsführer der IKK Südwest, will die Entwicklung kritisch beobachten. Es sei gut, dass bei der Medikation von Kindern inzwischen genauer hingeschaut werde, sagte er. " Bei den Erwachsenen müssen wir nun ebenfalls ein wachsames Auge drauf haben, damit keine Übermedikation entsteht.“
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