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Reha vor Rente

Mittwoch, 1. Dezember 2010 – Autor:
Interview mit Dr. med. Matthias Krause, Chefarzt der Median Klinik Hoppegarten - Rehabilitationsfachklinik für Orthopädie, Rheumatologie, Unfallverletzungen, Schmerztherapie und Medizinisch-berufliche Rehabilitation.
Dr. Matthias Krause

Dr. Matthias Krause

Herr Dr. Krause, Reha - das ist das, was für viele Patienten mit Unfallverletzungen oder mit orthopädischen Erkrankungen nach der Akutversorgung kommt. Was kann die moderne Rehabilitation heute leisten?

Dr. Krause: Die Reha von heute ist wesentlich individualisierter als noch vor 15 Jahren. Heute beziehen wir das soziale und berufliche Umfeld des Patienten ganz stark mit in die Therapieplanung ein. Wenn ein Patient zu uns kommt, dann erarbeiten wir zu allererst gemeinsam mit ihm seine persönlichen Ziele. Das Therapieziel orientiert sich immer daran, was der Patient nach der Therapie leisten will oder muss, um seinen Alltag meistern zu können.

Geht das denn immer so einfach?

Dr. Krause: Das Therapieziel muss natürlich realistisch sein. Wir können niemanden mit einem Bandscheibenschaden fürs Gewichtheben fit machen. Aber sehr wohl dafür, dass er wieder arbeiten kann. Die arbeitsplatzbezogene medizinische Trainingstherapie, bei der berufsspezifische Bewegungen trainiert werden, gehört heute zum Standard. Unsere Devise heisst immer: Reha vor Rente.

Wie gross ist die Chance, die Rente zu vermeiden, wenn jemand eine körperlich anstrengende Tätigkeit ausübt?

Dr. Krause: Natürlich gibt es Fälle, wo der Patient aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr in seinen alten Beruf zurückkehren kann. Hier arbeiten wir eng mit den Kostenträgern und den Arbeitgebern zusammen, um eine geeignete Lösung zu finden. Das kann eine Umschulung sein, das kann eine neue Tätigkeit im alten Betrieb oder auch die Umgestaltung des Arbeitsplatzes sein. All das helfen wir - zusammen mit unserem Sozialdienst - abzuklären und damit sind wir sehr erfolgreich.

Das setzt viel Kommunikation voraus. Wie gross ist die Bereitschaft auf Kostenträger- und Arbeitgeberseite, mit Ihnen an einem Strang zu ziehen?

Dr. Krause: Reha ist die beste Investition in die Volkswirtschaft, deshalb ist das Interesse auf Kostenträgerseite an der Wiedereingliederung sehr gross. Die Rentenversicherungen haben eigene Reha-Beauftragte, die eng mit uns und den Patienten zusammenarbeiten. Und sie übernehmen zum Teil sogar die Kosten für Umschulungen. Auch auf Arbeitgeberseite sehen wir eine hohe Bereitschaft, den Mitarbeitern leidensgerechte Arbeitsplätze zu schaffen. Das Hamburger Modell etwa, das eine stufenweise Wiedereingliederung vorsieht, funktioniert ausgesprochen gut.

Gibt es denn auch Patienten die gar nicht unbedingt wieder arbeiten wollen, sondern lieber den bequemen Weg der Rente gehen wollen?

Dr. Krause: Klar, die gibt es auch. Sie machen aber nur einen sehr kleinen Teil der Patienten aus. Entscheidend für den Therapieerfolg ist die persönliche Motivation. Deshalb arbeiten wir mit unseren Patienten auch sehr intensiv daran, deren Motivation zu steigern und den Patienten intensiv zu unterstützen, seine eigenen Möglichkeiten optimal auszuschöpfen. Aber wir haben auch Patienten, die nachvollziehbar Angst davor haben, nach langer krankheitsbedingter Abwesenheit, wieder an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Diesen Patienten bieten wir psychotherapeutische Unterstützung durch unsere Psychologen an. Auch die psychologische und sozialmedizinische Unterstützung gehört zur modernen Rehabilitation.

Demnach betreuen Sie viele Patienten weit unter dem Rentenalter?

Dr. Krause: Unsere Patienten werden immer jünger. Dies liegt u. a. an der medizinisch-technischen Entwicklung, wie z.B. in der Endoprothetik. Heute bekommen schon Dreissigjährige aufgrund von angeborenen Fehlstellungen oder in Folge von Unfällen neue Hüften- oder Knieprothesen implantiert, weil damit ihre Lebensqualität enorm verbessert werden kann. Vor 20 Jahren war das noch undenkbar.

Sie sagten eingangs, dass die Rehabilitation individualisierter geworden ist. Wie drückt sich das in den Therapiemassnahmen aus?

Dr. Krause: Unser Therapieprogramm verbindet sinnvolle Therapiestandards mit einem funktionsspezifischen Training, das wir nach und nach an die Belastbarkeit des Patienten sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht anpassen. Dabei trainieren wir mit dem Patienten auch Verhaltensstrategien, wie er trotz funktioneller Einschränkungen bestimmte Tätigkeiten wieder ausüben kann. Zum Beispiel, dass er lernt, sich wieder alleine anzuziehen. Und natürlich integrieren wir konkret benötigte arbeitsrelevante Aktivitäten des Patienten mit in die Therapie. Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist die Edukation, insbesondere zur Schmerzverarbeitung.

Kann man lernen mit Schmerz zu leben?

Dr. Krause: Die Patienten können durchaus lernen, mit Rest-Schmerzen umzugehen und sie richtig einordnen und bewältigen zu können. Zu einem umfassenden Schmerzmanagement gehört mehr als nur das Schmerztagebuch. Wir bringen unseren Patienten bestimmte Strategien zur Schmerz- und Stressbewältigung bei. Dazu gehören u. a. Entspannungstechniken und ein angeleitetes Aktivitätstraining. Verhaltenstherapeutisch kann man da heute eine Menge erreichen. Dafür ist es wichtig, dass der Patient im Mittelpunkt aller Anstrengungen steht und neben seiner medizinisch-therapeutischen Behandlung auch ein Gefühl des Vertrauens und der Geborgenheit während seines stationären Aufenthaltes empfindet.

Das klingt alles sehr personalintensiv. Welche Rolle spielen denn Computer und Technik in der modernen Reha?

Dr. Krause: Mittlerweile eine recht grosse. Wir arbeiten zum Beispiel mit einem Unterarmgehstützten-System. Über einen kleinen Computer, der in beide Gehstützen eingebaut ist, können wir einen optimalen Dreipunktgang und eine gleichmässige Kraftverteilung realisieren. Das ist dann notwendig, wenn der Patient ein Bein mit einem bestimmten Gewicht belasten soll. Das System misst das Gewicht und gibt Feedbackalarm bei Fehlschritten. Neuerdings haben wir auch ein kamerabasiertes 3-D-Ganganalyse-System. Der Therapeut kann damit Fehler im Gangbild sofort erkennen und korrigieren.

Eine letzte Frage zum Schluss. Kürzlich war von einer Stiftungsprofessur für medizinische Rehabilitationswissenschaften zu lesen. Was hat es damit auf sich?

Dr. Krause: Die Median Klinik Hoppegarten ist Teil eines Stifterkonsortiums, das im September eine Kooperationsvereinbarung zur Schaffung einer Stiftungsprofessur für Rehabilitationswissenschaften unterzeichnet hat. Die Professur befindet sich an der Universität Potsdam und soll die patientenbezogene klinische Forschung und die forschungsbasierte Lehre fördern. Ich denke, die Stiftungsprofessur ist die optimale Basis, um den hohen Stellenwert der Rehabilitation weiter zu stärken.

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