Psychotherapeuten über Flüchtlinge: Posttraumatische Belastungsstörung dringend behandlungsbedürftig
Mindestens die Hälfte der Flüchtlinge in Deutschland ist psychisch krank. Zu dieser Einschätzung kommt die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) in ihrem Standpunkt „Psychische Erkrankungen bei Flüchtlingen, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Demnach kommen posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) und Depressionen mit jeweils 50 Prozent am häufigsten bei traumatisierten Flüchtlingen vor, oft leiden die Betroffenen unter beidem. Auch Flüchtlingskinder seien von psychischen Erkrankungen aufgrund traumatischer Erlebnisse betroffen, heißt es in dem Papier. Jedes fünfte sei einer posttraumatische Belastungsstörung erkrankt.
Mehr Hilfe für Flüchtlinge gefordert
„Psychische Erkrankungen zählen zu den häufigsten Erkrankungen von Flüchtlingen. In aller Regel sind sie dringend behandlungsbedürftig“, stellte BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz fest. Die ankommenden Flüchtlinge benötigten nicht nur eine Unterkunft und Lebensmittel, sondern auch eine medizinische Versorgung. Insbesondere PTBS-Betroffene seien schwer psychisch krank. 40 Prozent von ihnen hätten bereits Pläne, sich das Leben zu nehmen oder hätten dies sogar schon versucht. „Aber fast kein psychisch kranker Flüchtling erhält eine angemessene Versorgung“, kritisierte Munz. Das sei beschämend. Laut Bericht erhalten nur rund vier Prozent der psychisch kranken Flüchtlinge eine Psychotherapie, was bei PTBS die empfohlene Behandlungsmethode ist. „Die Bundespsychotherapeutenkammer fordert deshalb dringend, die Versorgung von psychisch kranken Flüchtlingen zu verbessern“, erklärte Munz mit Blick auf die Politik.
Traumatische Erlebnisse flammen immer wieder auf
Wer an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt ist, erlebt die traumatische Situation immer wieder, meist als Alpträume oder als blitzartige Bilder oder filmartige Szenen (Flashbacks). Diese Erinnerungen werden so intensiv erlebt, als ob sich das Ereignis gerade tatsächlich wieder ereignet. Zu den häufigsten Auslösern, die von Flüchtlingen berichtet werden, gehören Beschuss mit Handfeuerwaffen und Granaten, Hunger und Durst etwa während einer Haft, Todesdrohungen und Scheinexekutionen, körperliche Folter, Stromschläge, sexuelle Erniedrigung und Vergewaltigung sowie auch das Miterleben von Hinrichtungen oder Vergewaltigungen.
Asylbewerberleistungsgesetz setzt Schranken
Die EU-Aufnahme-Richtlinie gewährt Flüchtlingen, die derartiges erlebt haben, einen besonderen Schutz. Doch die Richtlinie werde nicht umgesetzt, kritisiert die Bundespsychotherapeutenkammer in ihrem Papier. So werde die Begutachtung, ob jemand psychisch erkrankt sei, Mitarbeitern in Sozialämtern überlassen, die dafür nicht ausgebildet seien. Dies führt der Kammer zufolge häufig zu Fehleinschätzungen, zudem müssten Betroffene oft Monate auf eine solche Begutachtung warten.
Laut BPtK-Statement findet die psychotherapeutische Behandlung von Flüchtlingen - wenn überhaupt - zurzeit fast ausschließlich in Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer statt. Die dort tätigen Therapeuten sind aber meist nicht berechtigt, mit der gesetzlichen Krankenversicherung abzurechnen. Dadurch bleiben Flüchtlinge auch nach den ersten 15 Monaten, also wenn sie bereits eine Versichertenkarte haben, praktisch ohne Behandlung.
Ein unhaltbarer Zustand findet Munz, der dringend geändert werden müsse. „Wir fordern daher, Psychotherapeuten in Flüchtlingszentren und auch psychotherapeutische Privatpraxen zu ermächtigen, sodass sie die Behandlung von Flüchtlingen mit der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnen können“, sagt er. Zudem müssten die für die Therapie notwendigen Dolmetscher von den Kassen finanziert werden, was derzeit aber nicht der Fall sei. „Die Behandlung von psychisch kranken Flüchtlingen wäre eigentlich schnell und unbürokratisch deutlich zu verbessern“, so Munz, „wenn die geltenden Einschränkungen für Flüchtlinge im Asylbewerberleistungsgesetz umgehend aufgehoben würden.“
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