Psychologin warnt: Putins narzisstische Krise macht ihn unberechenbar

Putins Ansehen in der Welt schwindet. Damit steigt die Gefahr einer „finalen“ narzisstischen Krise, die zu Extrementscheidungen führen kann
Putins Krieg in der Ukraine schockt die ganze Welt. Dazu die Drohung mit Atomwaffen. Der Westen reagiert mit Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen für die Ukraine. Militärisch eingreifen will er nicht – sonst wäre der dritte Weltkrieg sicher.
Doch die weitgehende Geschlossenheit der Weltgemeinschaft plus die jetzt schon spürbaren Auswirkungen der Sanktionen könnten Putin in eine Ecke treiben, aus der er ohne Gesichtsverlust nicht mehr herauskommt. Und das kann brandgefährlich werden. Die Psychologin und Traumaexpertin Alina Wilms schreibt in einem Gastbeitrag auf "Focus online", die narzisstische Selbstwertkrise Putins sei die größte Gefahr. Wilms traut dem Kreml-Herrscher alles zu. Auch eine „Gemeinsam in den Abgrund Reaktion“.
Wenn aus Macht Ohnmacht wird
Zwar könne jeder Mensch eine narzisstische Krise erleben. „Wenn jedoch machtverwöhnte Herrscher gekränkt werden, kann aus extremer Macht extreme Ohnmacht werden. Dann besteht das Risiko, dass sie Grenzen des Unvorstellbaren überschreiten und zu einer globalen Akutgefahr werden.“
In ihrem Psychogramm beschreibt sie Wladimir Putin als omnipotenten Alleinherrscher, der stets mit uneingeschränktem Erfolg verwöhnt wurde. Wenn so ein Mensch aber erstmals an extreme Grenzen stoße, gerate er „quasi zwangsläufig eine psychische Krise.“
Der Grat zum „Alles oder Nichts“ ist schmal
„Das Verhalten des Betreffenden in einer solchen innerpsychischen Krise ist unberechenbar, reaktiv-emotionalisiert und kann schnell in ein „Entweder-Oder“, ein „Alles oder Nichts“ kippen“, warnt Wilms. Die Psychologin sieht den „Mann am atomaren Drücker“ augenblicklich in genau dieser prekären Situation: Putin sei durch den globalen Widerstand international ausgegrenzt und habe mit wirtschaftlichen und medialen Krisen zu kämpfen. Würde er nun auch noch militärisch scheitern, würde das einen kompletten Gesichtsverlust für ihn bedeuten. „Es bleibt ihm nichts anderes als zuzusehen, wie nicht nur die Vision der neuen Weltordnung, die er sich vielleicht zum runden Geburtstag schenken wollte verblasst, sondern auch der bisherige Status Quo wird annihiliert, ausgelöscht.“
Kompletter Gesichtsverlust könnte atomaren Krieg bedeuten
Die letzte verbleibende Macht, so die Psychologin, sei dann die höchste Eskalationsstufe – sprich ein atomarer Krieg. Putin und sein Land würden dabei zwar höchstwahrscheinlich selbst mit untergehen. Doch jemand, der nichts mehr zu verlieren habe, sei zu Extrementscheidungen bereit nach dem Motto: „Gemeinsam in den Abgrund“.
Alina Wilms sieht nur einen Ausweg aus diesem Dilemma: Putins Gesichtsverlust so gering wie möglich halten. „Unsere große psycho-paradoxe Herausforderung besteht jetzt darin, klar und unmittelbar zu sanktionieren und zugleich dafür zu sorgen, den Gegner vor der finalen narzisstischen Selbstwertkrise zu bewahren“, schreibt sie. Deshalb sollten ihrer Meinung nach Friedensgespräche unbedingt eine "Option der Gesichtswahrung des Aggressors" berücksichtigen, um uns selbst vor der „Gemeinsam in den Abgrund Reaktion“ zu schützen.