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Psychologen wollen Absetzen von Antidepressiva erleichtern

Samstag, 7. Mai 2022 – Autor:
Antidepressiva werden in der Regel viel zu lange eingenommen. Vor allem die Angst vor Rückfällen erschwert das Absetzen. Eine Studie untersucht nun, wie Psychologen dabei helfen können. Die Studie läuft in Hamburg und Marburg und sucht noch Teilnehmer.
SFB-Projektleiterin Prof. Yvonne Nestoriuc: Positive Erwartungen helfen, den unheilvollen Kreislauf beim Absetzen von Antidepressiva zu durchbrechen

SFB-Projektleiterin Prof. Yvonne Nestoriuc: Positive Erwartungen helfen, den unheilvollen Kreislauf beim Absetzen von Antidepressiva zu durchbrechen – Foto: © Sonderforschungsbereich SFB/TRR

Laut Statistiken nehmen etwa acht bis zehn Prozent der Deutschen Antidepressiva ein. Experten sagen, dass die meisten Patienten die Medikamente nach etwa einem Jahr wieder absetzen könnten. Viele haben jedoch Mühe, davon loszukommen. Mehr als jede dritte Person nimmt Antidepressiva länger ein als notwendig.

Nocebo-Effekt erschwert das Absetzen

Ulrike Bingel, Professorin für Klinische Neurowissenschaften an der Universitätsmedizin Essen, weiß warum: „Viele PatientInnen sind beim Absetzversuch von rasch vorübergehenden Absetzeffekten wie Schlaflosigkeit, Schwindel oder Reizbarkeit betroffen und missverstehen diese als Rückfall. Die daraus entstehende Angst verstärkt die Beschwerden noch, weshalb die PatientInnen den Absetzversuch oftmals abbrechen, statt durchzuhalten", erklärt sie. Eine solch negative Erwartungshaltung wird in der Medizin auch als „Nocebo-Effekt“ bezeichnet.

Hier setzt ein Projekt der Deutschen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an. In einem Sonderforschungsbereichs untersucht ein interdisziplinäres Forschungsteam in 16 Teilprojekten, wie Erwartungen den Behandlungserfolg beeinflussen und wie sich dieser Effekt bei verschiedenen Erkrankungen therapeutisch nutzen lässt.

Studie begleitet Patienten medizinisch und psychologisch

„Unsere Studienergebnisse weisen darauf hin, dass bessere Aufklärung und das gezielte Wecken positiver Erwartungen helfen können, den unheilvollen Kreislauf beim Absetzen von Antidepressiva zu durchbrechen", sagt Projektleiterin Yvonne Nestoriuc, Professorin für Klinische Psychologie an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Die Psychologin ist überzeugt, dass unterstützende psychotherapeutische Elemente helfen können, die „Erwartungen beim Antidepressiva-Absetzen zu optimieren und dem Nocebo-Effekt vorzubeugen.“

In der Studie PHEA wird das nun untersucht. Patienten aus dem Großraum Hamburg sowie Marburg, die ihr Antidepressivum mit ärztlicher und psychologischer Begleitung absetzen möchten, können an der aktuellen Studie teilnehmen. Sie wird am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und an der Philipps-Universität Marburg durchgeführt.

Es sei ein Missstand, dass Antidepressiva häufig viel zu lange einnehmen eingenommen würden, betont Prof. Nestoriuc. „Mit unserer Forschung wollen wir dazu beitragen, die Informations- und Versorgungslücke für PatientInnen mit Absetzwunsch zu schließen.“

Absetzsymptome ähneln einer Depression

Antidepressiva sind nur in seltenen Fällen als lebenslange Therapie sinnvoll, denn sie können zu Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, sexuellen Problemen und einem erhöhten Risiko für Herzrhythmusstörungen führen. Als medizinische Empfehlung gilt: Verbessern sich nach etwa vier Wochen, in denen Antidepressiva ihre volle Wirksamkeit entfalten, die depressiven Symptome, sollte das Medikament noch vier bis neun weitere Monate eingenommen werden, bei mehrfach depressiven Episoden weitere zwei Jahre. Herrscht dann immer noch weitgehende Symptomfreiheit, sollte ein Absetzversuch erfolgen. Dabei können vorübergehende Beschwerden wie Schwindel, Schlaflosigkeit, Schwäche, Reizbarkeit, Übelkeit und Schmerzen auftreten.

 „Die Beschwerden gleichen den Symptomen einer Depression, was bei PatientInnen die Angst vor einem Rückfall auslösen und zu einem Abbruch des Absetzversuchs führen kann, sagt Nestoriuc. „Um zwischen Rückfall und Absetzproblematik zu unterscheiden, ist eine intensive ärztliche Begleitung notwendig, die auch den Nocebo-Effekt berücksichtigt und die PatientInnen darüber aufklärt.“

Weitere Informationen unter www.phea-studie.de

Hauptkategorie: Medizin
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