Progerie: Den Ursachen auf der Spur
Bei Kindern, die unter Progerie leiden, verläuft das Altern fünf- bis zehnmal schneller als im Normalfall. Als Symptome treten typische Alterserscheinungen wie Arterienverkalkung, Osteoporose, steife Gelenke und Haarausfall auf. Die Ursachen des beschleunigten Alterungsprozesses bei Progerie sind bisher nicht bekannt. Allerdings könnten die Ergebnisse neuer Forschungen, so die Hoffnung von Experten, Einfluss auf die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden haben.
Schon länger ist bekannt, dass ein Großteil der Symptome der Erkrankung von dem Protein Progerin verursacht wird. Dabei handelt es sich um eine fehlerhafte Version von Lamin A. In einer neuen Studie untersuchten Forscher der Max F. Perutz Laboratories von der Medizinischen Universität in Wien nun, wie Progerin seine Wirkung bei den Betroffenen genau entfaltet.
LAP2α wirkt in Progerie-Zellen anders
„Vor einigen Jahren fanden wir und andere Forschungsgruppen heraus, dass in Progerie-Zellen wesentlich weniger LAP2α vorkommt als in normalen Zellen. LAP2α steht im Wechselspiel mit Lamin A, um die Zellproliferation […] zu regulieren. Interessanterweise verringert sich die Menge an LAP2α in unseren Zellen, wenn wir älter werden“, erklärt Professor Roland Foisner, der mit seinem Team die Ursachen der Progerie erforscht. Dr. Thomas Dechat und Sandra Vidak entwickelten nun zusammen mit Dr. Tom Misteli vom NIH National Cancer Institute eine neue Zelllinie, mit der sich Progerie im Labor nachstellen lässt und so die molekularen Ursachen der Progerie untersucht werden können.
„Im Vergleich zu normalen Zellen waren die Mengen an LAP2α in den Progerie-Zellen viel niedriger“, erklärte Vidak. „Gaben wir ihnen aber LAP2α, konnten sich die Zellen wieder normal vermehren. Das gleiche passierte auch in Zellen aus Patientenproben.“ Weitere Experimente zeigten, dass LAP2α über völlig unterschiedliche Mechanismen wirkt – je nachdem, ob sie in Progerie-Zellen oder normalen Zellen existieren. In normalen Zellen gibt es einen frei im Zellkern vorliegenden Lamin A-Pool, an den LAP2α binden kann. Dies verlangsamt die Proliferation, während zu niedrige LAP2α-Mengen zu überhöhter Zellvermehrung führen. Bei Progerie tritt hingegen genau das Gegenteil ein: bei wenig LAP2α vermehren sich die Zellen viel langsamer und treten zu früh in den zellulären Alterungsprozess ein. Ursache hierfür ist der fehlende freie Lamin A-Pool im Zellkern.
LAP2α schien also in Progerie-Zellen über einen ganz anderen Mechanismus zu funktionieren. „Alle Zellen sind von einem Material umgeben, das sie strukturell unterstützt. Wir nennen es extrazelluläre Matrix, kurz ECM. Frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass Progerin die Produktion von ECM-Proteinen negativ beeinflusst und so zu einer gestörten Zellumgebung und langsamerer Proliferation beiträgt. Wir konnten nun zeigen, dass das im Zusammenhang mit den niedrigen LAP2α-Mengen steht. Gaben wir Progerie-Zellen LAP2α, hatten sie wieder eine intakte ECM, vermehrten sich normal und traten nicht in den zellulären Alterungsprozess ein“, erklärt Vidak die Ergebnisse.
Progerie ist bisher nicht heilbar
Bei Progerie beginnen die Betroffenen, im Alter von ein bis zwei Jahren vorschnell zu altern. Weltweit sind nur etwa 200 Fälle bekannt; damit gehört Progerie zu den sogenannten Seltenen Erkrankungen. In Deutschland leben zurzeit sechs Kinder, bei denen Progerie diagnostiziert wurde. Die meisten Betroffenen sterben noch vor ihrem zwanzigsten Lebensjahr an einem Schlaganfall oder Herzinfarkt. Eine medikamentöse Behandlung mit FTIs (Farnesyltransferase-Inhibitoren) kann zwar die Lebenserwartung etwas verlängern, eine Heilung gibt es jedoch bislang nicht.
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