
Berührung vom Psychotherapeuten: Das kann als angenehme Form von Zuwendung verstanden werden. Manchen Patienten kann es aber auch zu weit gehen. – Foto: ©Maskot - stock.adobe.com
Schon beim Hausarzt oder Zahnarzt ist es hilfreich, wenn die persönliche Chemie zwischen Arzt und Patienten stimmt. Ungleich bedeutsamer als bei körperlichen Beschwerden ist dies bei seelischen Erkrankungen. Wer sein tiefstes Innenleben „verarzten“ lassen will, entblättert sich regelrecht. Die Klienten von Psychotherapeuten befinden sich meist in schweren und oft in existenziellen Lebenskrisen. Da ist das Vertrauensverhältnis, das Miteinander-Können, nicht mehr nur angenehme Begleiterscheinung: Es ist unmittelbar Diagnostik- und Behandlungsinstrument – und für einen Erfolg der Therapie entscheidend.
Während der Beginn einer neuen therapeutischen Beziehung für Therapeuten Berufsroutine ist, erleben die meisten Klienten dies als neue, ungewohnte Situation, die Mut und Überwindung kostet. Pikant wird es, wenn im therapeutischen Setting Krisen auftreten und die so sehnlich gewünschte Behandlung, auf die Patienten oft monatelang warten müssen, nicht mehr Teil der Lösung ist – sondern selbst zum Problem wird.
Missverständnisse, Behandlungsfehler, Übergriffigkeit
Patienten können das Verhalten von Therapeuten als inadäquat oder belastend erleben. Sie können das Gefühl haben, dass gravierende Missverständnisse bestehen oder sogar Behandlungsfehler aufgetreten sind. Als spezielles Thema gilt körperliche Nähe. So können Therapeuten Patienten berühren, um Mitgefühl auszudrücken oder mentale Unterstützung durch körperliche Gesten zu unterstreichen. Dies kann als angenehm erlebt werden – aber auch individuelle Grenzen überschreiten. „Kommt es in der Therapie zu Schwierigkeiten oder zu inakzeptablen Vorfällen wie Übergriffen durch den Therapeuten, kann diese Unsicherheit und das Unbehagen noch zunehmen“, heißt es in einer Mitteilung von „Pro Psychotherapie e.V.“, München. Wenn Zweifel aufkommen oder sich häufen, ob der Therapeut oder die Therapieform auch die richtigen sind, stellt sich die Frage, ob die Fortsetzung der Therapie überhaupt sinnvoll ist.
„Diese Menschen brauchen daher Rat und Hilfe von einer neutralen Anlaufstelle“, heißt es beim Verein Pro Psychotherapie. Hier ist zu sondieren, ob das Problem nicht im direkten Dialog mit dem Therapeuten geklärt werden kann; wann eine Beschwerde sinnvoll ist; und was man mit einer Beschwerde erreichen kann. In einem ersten Schritt können sich Betroffene an eine unabhängige Patientenberatungsstelle oder eine telefonische Patientenberatung wenden.
Anlaufstellen bei Problemen während der Psychotherapie:
- Ethikverein e.V.
- Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. (APS)
- Verbund unabhängige Patientenberatung e.V. (VuP)
- Verbraucherzentralen
- Psychotherapie-Informationsdienst (PID)
- Liste unabhängiger Beschwerdestellen der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. (DGSP)
Weil Patienten in der Psychotherapie als besonders schutzbedürftig gelten, haben die Therapeuten besondere ethische und rechtliche Verpflichtungen. Diese sind unter anderem in der Berufsordnung für Psychotherapeuten definiert. „Verstößt ein Therapeut gegen die Berufsordnung oder zeigt ein gravierendes Fehlverhalten, kann dies ein Grund für eine offizielle Beschwerde sein“, sagt die promovierte Diplom-Psychologin Christine Amrhein. Folgende Verstöße gegen die Berufsordnung können Anlass für eine offizielle Beschwerde sein:
Anlässe für eine offizielle Beschwerde über einen Psychotherapeuten
- Der Therapeut informiert bei Behandlungsbeginn nicht ausreichend über das Vorgehen, Methode, Dauer und Risiken sowie die entstehenden Kosten.
- Therapeut stellt unangemessene Bedingungen für den Fall, dass ein Patient unentschuldigt fernbleibt oder zu kurzfristig absagt (selbst zu zahlendes Ausfallhonorar auch bei Kassenpatienten).
- Dem Patienten werden unrealistische Hoffnungen oder Versprechungen auf Besserung oder Heilung gemacht.
- Der Therapeut nimmt Therapiesitzungen ohne Einverständnis des Patienten auf (Video, Audio).
- Therapiesitzungen werden nicht störungsfrei durchgeführt (Telefon klingelt, Dritte klopfen an, Sitzungen beginnen regelmäßig zu spät oder enden zu früh – 50 Minuten gelten als Standard).
- Der Therapeut bricht die Schweigepflicht.
- Der Therapeut verhält sich gegenüber Patienten/Angehörigen nicht respektvoll (Beschimpfung, Beleidigung).
- Der Therapeut versucht, Patienten politisch, weltanschaulich oder religiös zu indoktrinieren.
- Der Therapeut missachtet das „Abstinenzgebot“ und die professionelle Distanz und geht mit dem Patienten eine private oder intime Beziehung ein. Praxis- und Privaträume des Therapeuten müssen getrennt sein.
Offizielle Beschwerden sollten nach Auskunft des Vereins Pro Psychotherapie am besten mit schriftlichen Beweisen oder zumindest mit zeitnahen eigenen Aufzeichnungen belegt werden. Je nach Berufsbezeichnung des Therapeuten sind unterschiedliche Anlaufstellen zuständig:
Bei psychologischen Psychotherapeuten:
die Psychotherapeutenkammer des jeweiligen Bundeslandes.
Bei ärztlichen Psychotherapeuten:
die Ärztekammer des jeweiligen Bundeslandes.
Bei Heilpraktikern für Psychotherapie:
das örtliche Gesundheitsamt.
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