Plusminus-Beitrag zur Diesel-Debatte: Mathematiker Morfeld wirft Umweltbundesamt Rechenfehler vor

Eine Stellungnahme zu Luftschadstoffen jagt die nächste. Nun kritisiert ein Mathematiker die Studie des Umweltbundesamts
Dieselfahrverbot, Grenzwerte, Stickstoffdioxide: Vor den Augen der Öffentlichkeit ist ein beispielloser Wissenschaftsstreit um die Auswirkungen von Luftschadstoffen auf unsere Gesundheit entbrannt. Dabei geht es inzwischen mehr um die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit, die Kausalität zu beweisen, als um die Gefahr von Luftschadstoffen selbst. In einem Beitrag des Wirtschaftsmagazin "Plusminus" am Mittwochabend in der ARD wird nun weiteres Öl ins Feuer gegossen.
Werden unbegründet Ängste geschürt?
Prof. Peter Morfeld von der Ruhr-Universität Bochum wirft dem Münchener Helmholtz-Zentrum vor, in seiner Studie für das Umweltbundesamt ohne wissenschaftliche Grundlage übertriebene Ängste vor mehr als 6.000 vorzeitigen Todesfällen durch Stickstoffdioxid zu schüren. "In diesem Report wird eine Formel verwendet, die falsch ist", sagt Morfeld. "Wir können diesen Daten in dem Bericht des Umweltbundesamtes nicht trauen. Eine solche Aussage ist Unsinn." Man müsse klar sagen, dass vorzeitige Todesfälle nicht bestimmt werden könnten. Andernfalls könnte das Vertrauen der Bürger in Politik und Wissenschaft erschüttert werden - vor allem angesichts anstehender Dieselfahrverbote und drohender finanzieller Verluste für die Betroffenen.
Um das klarzustellen: Der Epidemiologe und Mathematiker bestreitet gar nicht die Schädlichkeit von Stickstoffdioxid. Er zweifelt bloß an den statistischen Methoden der Münchner Helmholtz-Forscher. Die waren in ihre Studie zu dem Schluss gekommen, dass im Jahr 2014 rund 6.000 Menschen in Deutschland vorzeitig durch Stickstoffdioxid verstorben seien.
Streit um AF-Formel
Doch eine in der Mathematik gebräuchliche Formel, die sogenannte AF-Formel (Attributale Fraktion), sei falsch angewendet worden, kritisiert Morfeld im Interview mit dem ARD-Wirtschaftsmagazin "Plusminus". Um vorzeitige Todesfälle zu errechnen, müsse jeder Person, die beurteilt werden soll, ein statistischer Zwilling zugeordnet werden, mit genau derselben Lebensweise wie regelmäßigem Sport, oder etwa dem genau gleichen Alkoholkonsum. Es dürfe nur einen Unterschied geben: die Belastung durch NO2. Diese Datengrundlage fehle aber, so Morfelds Kritik.
Es fehlt der statistische Zwilling
"Wenn wir solche Daten nicht zur Verfügung haben, können wir den Begriff der vorzeitigen Todesfälle nicht sinnvoll verwenden", sagt Prof. Peter Morfeld. "Und solche Daten gibt es in der Epidemiologie nicht." Wenn man nur auf die Größe schaue, die mit der Formel gemessen werden könne, nämlich generell verlorene Lebenszeit, ergebe sich ein ganz anderes Bild der Schadstoffbelastung als öffentlich dargestellt. Der Effekt der NO2-Exposition sei in Wahrheit klein, im Jahr 2014 statistisch für die Gesamtbevölkerung betrachtet nur acht Stunden pro Person. "Diese große, plakative Wirkung mit dem vielen Todesfällen, die ergibt sich nur, wenn ich die Formel falsch anwende."
Morfeld fordert daher das Umweltbundesamt auf, seinen Bericht zu den 6.000 vorzeitigen Todesfällen zurückzuziehen: "Sicher ist das ein schwieriger Schritt für das Umweltbundesamt, aber ich halte ihn für überfällig." Der habilitierte Mathematiker vertritt damit die gleiche Position wie die 130 Lungenärzte um den früheren Chef der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie Prof. Dieter Köhler, die ebenfalls die Berechnungen angezweifelt hatten.
Umweltbundesamt will Anwendung der Formel überprüfen
Nach Recherchen von Plusminus will das Umweltbundesamt die Anwendung der Formel nun überprüfen. Dabei gehe es um die Frage, ob sie auch für die Ableitung vorzeitiger Todesfälle verwendbar sei, wie von der WHO empfohlen. Hierfür stünde das Umweltbundesamt mit dem US-amerikanischen Institute for Health Metrics and Evaluation aus Seattle in Kontakt, das auf dem Gebiet der Krankheitslaststudien weltweit führend sei und die kritisierte Formel ebenfalls verwende. Erst nach Abschluss dieser Prüfung werde das Umweltbundesamt endgültig dazu Position beziehen.
Der Plusminus-Beitrag wird am Mittwoch, 22. Februar um 21.45 Uhr in der ARD ausgestrahlt.
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