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Plus 294 Prozent: Hamsterkäufe bei Jodtabletten

Donnerstag, 17. März 2022 – Autor:
Die Angst vor radioaktiver Belastung infolge des Kriegs in der Ukraine hat in deutschen Apotheken zu Hamsterkäufen bei Jodtabletten geführt. Das berichtet der Branchendienst „Apotheke Adhoc“. Dabei warnen Apotheker und Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) vor einer Einnahme in Eigenregie. Sie sei weder nötig noch sinnvoll und könne ihrerseits die Gesundheit gefährden.
Jodtabletten

Jodtabletten sollen verhindern, dass sich radioaktiv belastetes Jod in die Schilddrüse einlagert. – Foto: AdobeStock/Schlierner

Vielleicht ist es die Erinnerung an den Reaktorunfall von Tschernobyl, im Zuge dessen Radioaktivität bis über Deutschland niederregnete, der Sand in Kinderspielplätzen ausgetauscht werden musste, Feldfrüchte ungeerntet untergepflügt wurden und Pilzesuchen im Wald als Gesundheitsrisiko galt. Die Sorge um einen möglichen nuklearen Zwischenfall infolge des Ukraine-Kriegs – ob in Gestalt eines Atomangriffs oder eines Reaktorzwischenfalls – hat die Nachfrage nach Jodtabletten in Deutschland explodieren lassen.

Jodtabletten-Absatz in Spitzenzeiten vervierfacht

Wie der Branchendienst „Apotheke Adhoc“ unter Berufung auf Zahlen des Marktforschungsunternehmens Insight Health berichtet, hat sich der Absatz im Vergleich zur selben Zeit im Vorjahr zuletzt vervierfacht. Dem Institut zufolge werden pro Woche normalerweise rund 30.000 Packungen an Jodpräparaten in den Apotheken abgegeben. In der Datenwoche 7 (bis 22. Februar) hatte der Absatz mit 28.600 Einheiten sogar noch 10 Prozent unter dem Vorjahr gelegen. Doch nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar stieg die Nachfrage sprunghaft an: Zwischen 23. Februar und 1. März wurden 62.100 Packungen abgegeben, in der Woche bis zum 8. März sogar 120.500 Packungen. Hatten sich die Abverkäufe also zunächst verdoppelt, kam es danach sogar zu einer Vervierfachung gegenüber dem Vorjahr.

Atomkatastrophe von Tschernobyl: Viele Fälle von Schilddrüsenkrebs

Hintergrund ist die Sorge vor einem nuklearen Zwischenfall – ob in Gestalt eines Atomangriffs oder eines Reaktorzwischenfalls. In der Ukraine liegt unter anderem das ehemalige Atomkraftwerk (AKW) Tschernobyl, das von russischen Einheiten eingenommen worden ist. Bei der Atomkatastrophe von Tschernobyl explodierte 1986 ein Reaktorblock. Mit dem danach wehenden Ostwind wurde radioaktiver Staub in viele europäische Länder und auch nach Deutschland, vor allem nach Süddeutschland transportiert. In den stark kontaminierten Gebieten um Tschernobyl wurde in der Folge – neben anderen Erkrankungen – das vermehrte Auftreten von Schilddrüsenkrebs beobachtet. Einige Experten sind der Meinung, dass dieses vermehrte Auftreten mit einfachen medizinischen Mitteln von der damaligen Regierung hätte verhindert werden können: durch eine Verteilung von Jodpräparaten an die Bevölkerung. Dies könnte auch die jetzt registrierten Hamsterkäufe erklären.

„Jodblockade“ soll die Aufnahme von radioaktivem Jod verhindern

Wie Jod aus der Nahrung wird auch radioaktives Jod (Iod 131) in der Schilddrüse gespeichert und kann Schilddrüsenkrebs hervorrufen. Kinder sind besonders gefährdet, wie sich nicht zuletzt nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima zeigte. Durch die Einnahme von Jod in hoher Dosierung kann die Speicherung von radioaktivem Jod Experten zufolge verhindert werden (der Fachbegriff dafür ist „Jodblockade“). Die Dosis für Jugendliche ab 13 Jahren beziehungsweise Erwachsenen bis 45 Jahren beträgt in der Regel 130 mg Kaliumiodid – aber im Notfall und einmalig. Diese Dosierung unterscheidet sich um etwa das 100- bis 1000-fache der normalen täglichen Jodzufuhr mit der Nahrung. Für Erwachsene über 45 wird eine Notfall-Einnahme von hochdosiertem Jod nicht empfohlen. Für sie überwiegen die Risiken von Nebenwirkungen den Nutzen.

Im Ernstfall werden Jodtabletten vom Katastrophenschutz verteilt

„Tatsächlich ist die vorbeugende Einnahme von jodhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln oder Jodtabletten weder nötig noch sinnvoll“, schreibt der Branchendienst Apotheke Adhoc weiter. Ein dauerhafter Jodüberschuss könne die Gesundheit gefährden und unter anderem zu einer Schilddrüsenunterfunktion führen. Außerdem sind die klassischen Präparate für Schilddrüsenpatienten gedacht, die nun Probleme haben, an ihre Dauermedikation zu kommen. Nur sehr hoch dosierte Jodtabletten könnten demnach bei einer nuklearen Katastrophe vor Schilddrüsenkrebs schützen. Diese Tabletten würden im Notfall über die Katastrophenschutzbehörden verteilt.

Hauptkategorie: Medizin
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