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"Pflegende Angehörige brauchen Wissen"

Montag, 17. Oktober 2016 – Autor:
Mehr als jeder dritte Pflegebedürftige wird über Nacht zum Pflegefall. Angehörige müssen dann nicht nur die Pflege organisieren, sondern einen Berg an Bürokratie bewältigen. Töchter & Söhne-Gründer Thilo Veil will sie dabei unterstützen.
Thilo Veil

Thilo Veil hat ein Ratgeber-Portal für pflegende Angehörige gegründet

Herr Veil, das von Töchter & Söhne betriebene Ratgeber-Portal „curendo“ will pflegenden Angehörigen helfen. Was brauchen die?

Thilo Veil: Vor allem gute Informationen. Um gut zu pflegen, braucht man Wissen. Doch das fehlt pflegenden Angehörigen und ehrenamtlich Pflegenden oft. Wir bieten die Informationen leicht zugänglich, sinnvoll verpackt und verständlich aufbereitet an. Was sind die ersten Schritte im Pflegefall? Welche Formulare fülle ich aus? Auf welche Leistungen habe ich Anspruch? Diese und andere Fragen stellen sich gerade zu Beginn der Pflege eines Angehörigen.

Für solchen Rat sind doch die vor einigen Jahren eingeführten, ambulanten Pflegestützpunkte da?

Veil: Wir bieten die nötigen Informationen online, die kann jeder jederzeit abrufen.

Der Papierkram ist sehr aufwändig, berichten Angehörige. Erst heißt es, Anträge seien nicht eingegangen, dann, sie seien nicht vollständig. Es kann Wochen dauern, bis man bei der Kasse den zuständigen Sachbearbeiter am Telefon hat. Das erweckt zuweilen den Eindruck, es würden bewusst hohe Hürden aufgebaut, um möglichst wenig erstatten zu müssen.

Veil: Das kritisieren wir auch. Das System ist budgetorientiert ausgerichtet und nicht immer bedarfsorientiert.

Bei einigen Gepflegten entwickelt sich ein Ping-Pong aus häuslicher Pflege, Krankenhausaufenthalten und stationärer Kurzzeitpflege. Wäre da nicht so etwas wie ein Case-Manager notwendig? Stattdessen hat es den Anschein, als kümmerten sich die Beteiligten nicht gemeinsam um einen Fall, sondern jeder werkelt vor sich hin. Kranken- und Pflegekasse ziehen nicht an einem Strang.

Veil: Dieser Drehtür-Effekt ist ein großes Problem. Die Patienten werden vorzeitig  aus der Klinik entlassen, die Angehörigen zu Hause sind nicht gut vorbereitet. Es fehlt zum Beispiel ein Pflegebett. Im Endeffekt landet der Gepflegte bald wieder als Akutfall im Krankenhaus. Das ist nicht nur bitter und belastend für die Betroffenen, sondern verursacht enorme Kosten, da der Krankenhausaufenthalt teurer ist, als die häusliche Pflege.

Wie hilft Ihr Portal konkret bei der Pflege daheim?

Veil: In unseren Pflegekursen geben wir praktische Tipps, um im Pflegealltag besser zurechtzukommen und die Organisation und Abläufe einfacher zu gestalten. Die Kursinhalte entstanden in enger Zusammenarbeit mit der Hochschule Bremen. Zudem haben wir Experten aus der Kranken- und Altenpflege, die individuelle Fragen der Angehörigen per Mail beantworten. Viele Pflegende wissen gar nicht, worauf sie ein Anrecht haben. So kann man eventuell zusätzlich eine Pflegekraft von einem ambulanten Pflegedienst engagieren. Und es gibt Entlastungsangebote, wie die Verhinderungspflege.

Was ist Verhinderungspflege?

Veil: Wenn ein Pflegender ausfällt, weil er erkrankt oder einen Erholungsurlaub braucht, zahlt die Pflegekasse für bis zu sechs Wochen im Jahr einen Ersatz. Ein gutes und wichtiges Angebot für Angehörige, um im Pflegealltag Entlastung zu finden.

Viele Betroffene empfinden die Pflege, auch wenn sie voller Überzeugung diese Aufgabe übernommen haben, als sehr belastend.

Veil: Mit unseren Pflegekursen  versuchen wir auch, die pflegenden Angehörigen emotional zu unterstützen. Viele Entscheidungen beim Eintreten der Pflegebedürftigkeit werden unter hohem emotionalem Druck getroffen. Es kann helfen, die Haltung und Einstellung zu der Situation zu überdenken. Pflege braucht viel Verständnis, Einfühlungsvermögen, Geduld und Offenheit. Offenheit bedeutet auch, dass man es sich gestattet, über Alternativen nachzudenken, zu überlegen, wie man etwas anders organisieren könnte.

Für manchen ist die Pflege so belastend, dass er selber krank wird.

Veil: Wir bieten einen „Belastungstest“ an, der Betroffenen die objektive Rückmeldung gibt, ob sie überlastet sind. Spätestens dann sollten sie sich Hilfe suchen.

Besonders gefordert sind Pflegende, die einen Demenzerkrankten  betreuen.

Veil: Die Pflege eines demenziell erkrankten Menschen ist eine besondere Herausforderung. Wir haben daher einen Online-Kurs für Angehörige von Menschen mit Demenz, www.demenz-spezial.de, entwickelt. Wichtig ist vor allem, dass die Pflegenden sich darauf vorbereiten können, was auf sie zukommt. Bei der Demenz gibt es häufig einen allmählichen Krankheitsverlauf. Welche Probleme das für die Pflegenden mit sich bringt, kann man auch auf dem Facebook-Portal Demenz-Spezial verfolgen, das wir betreuen.

Diese beiden Online-Pflegekurse kosten etwas?

Veil: Ja. Damit wollen wir unser Geld verdienen. Für knapp 100 Euro können Angehörige sechs Monate lang rund um die Uhr auf alle Kursinhalte zugreifen und individuelle Fragen an Experten richten. Die Kosten kann man bei der Pflegekasse einreichen. Die ist verpflichtet, Schulungen für pflegende Angehörige zu erstatten. Einige Kranken- oder Pflegekassen kommen auch schon direkt für unsere Kurse auf.  Man bezahlt die Kursteilnahme dann einfach mit seiner Versichertenkarte.

Thilo Veil ist Ingenieur, hat für Industrie- und Beratungsfirmen gearbeitet und entwickelte  Online-Coachings für Bewegung und Ernährung. Nach einem Familienjahr gründete er Töchter & Söhne. Das Berliner Start-up betreibt u.a. das Ratgeber-Portal www.curendo.de, den www.DAK-Pflegecoach.de, das Online-Angebot www.demenz-spezial.de mit dazugehöriger Facebookseite, konzipierte einen „Belastungstest“ für pflegende Angehörige, den die Volksolidarität bei Beratungsgesprächen einsetzt und entwickelte für die Lebenshilfe ein Online-Netzwerk für Geschwister von behinderten Menschen, das „Geschwisternetz“.

Foto: privat

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