Seit 2004 hat jede Diagnose ihren festen Preis. Die Krankenkassen vergüten seither die Arbeit der deutschen Krankenhäuser nach einem diagnosebezogenen Fallpauschalensystem - kurz DRG, unabhängig vom tatsächlichen Krankheits- oder Genesungsverlauf des Patienten. Treten unvorhergesehene Komplikationen auf und verweilt der Patient länger als erwartet im Krankenbett, erhalten die Kliniken hierfür keine entsprechende Vergütung.
Umsatzsteigerung in Kliniken
Daraus entstehen in vielen Kliniken Finanzlücken, die den Druck erhöhen, kritisieren Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH). Gleichzeitig kam es in den letzten Jahren auch an vielen Kliniken zu einer Ausdehnung der Fallzahlen. So wurden laut Statistischem Bundesamt in 2010 rund 18 Millionen Patienten in deutschen Krankenhäusern behandelt - 1995 waren es weniger als 16 Millionen. "Es ist fraglich, ob dieser Fallzahlsteigerung tatsächlich immer gerechtfertigte medizinische Indikationen zugrunde liegen oder aufgrund des starken finanziellen Drucks auf die Häuser aus finanziellem Interesse entschieden wurde", hinterfragt Professor Dr. med. Joachim Jähne, Vizepräsident der DGCH im Vorfeld des Chirurgenkongresses in Berlin diese Entwicklung. Zudem seien heutige Ärzteverträge im Krankenhaus häufig mit Bonuszahlungen bei Fallzahlsteigerungen verbunden.
Immer häufiger den monetären Entscheidungen unterworfen
Auch die Wahl der Operationstechnik spiele heute eine entscheidende finanzielle Rolle für das Krankenhaus, meint der Chirurg: "Patienten werden mitunter mit modernen Methoden operiert, die zwar nicht immer effektiver als herkömmliche Lösungen, jedoch oft finanziell wesentlich ertragreicher sind", erläutert Jähne. Leistenbruch-Operationen oder Gelenkspiegelungen, die sogenannte Arthroskopie, wären mitunter verzichtbar. "Durch finanzielle Zwänge werden die verantwortlichen Chirurgen in der Wahl der Behandlungsmethoden unfreier", sagt Jähne. Denn sie seien immer häufiger den monetären Entscheidungen ihres Arbeitgebers unterworfen, anstatt die Bedürfnisse der Patienten angemessen berücksichtigen zu können.
Der DGCH-Präsident Professor Dr. med. Markus W. Büchler sieht in dieser Entwicklung einen unausweichlichen Interessenskonflikt zwischen Krankenhäusern und Ärzten. "Eine Entscheidung zur Durchführung einer Operation und Wahl des OP-Verfahrens sollten ausschliesslich medizinische Gründe, keinesfalls aber finanziellen Intentionen zugrunde liegen", betont Büchler. Gleichzeitig sei der finanzielle Druck der Kliniken durchaus nachzuvollziehen. Dennoch könne dieser nicht durch etwa Vergütungsanreize, die dem Patienteninteresse widersprechen, an die Ärzte weitergegeben werden. Neben einem kaufmännischen Leiter sollte zudem laut Büchler immer auch ein Arzt ein Krankenhaus leiten, der die Patientensicht vertritt.