Offener Brief: Viren mutieren, kein Grund, Kinderrechte massiv zu verletzen

Lasst die Schulen offen: Experten um die Virologen Detlev Krüger und Klaus Stöhr fordern Rückkehr zur Normalität für die Jüngsten – Foto: © Adobe Stock/ Yulia
„Zum Schutz Erwachsener hat Deutschland im vergangenen Jahr Kindern und Jugendlichen die längsten Einschränkungen des Schul- und KiTa-Betriebs in Europa auferlegt. Die daraus resultierenden gravierenden Schäden für ihre Bildungs- und Entwicklungschancen sowie ihre psychische und physische Gesundheit sind umfassend dokumentiert und unbestritten.“
„Kinder gehören in die Schule“
So beginnt ein offener Brief, den der ehemalige Chef-Virologe der Charité, Detlev Krüger, jetzt zusammen mit anderen Experten und der Initiative Familien an den Bundeskanzler, die Ministerpräsidenten, die Kultus- und Gesundheitsminister des Bundes und der Länder geschrieben hat. Das Schreiben mit der Überschrift „Kinder gehören in die Schule“ liegt WELT AM SONNTAG exklusiv vor und wurde von der Zeitung am Sonntag veröffentlicht.
Die Unterzeichner, darunter auch die beiden Virologen und Epidemiologen Klaus Stöhr und Jonas Schmidt-Chanasit sowie mehrere Kinder- und Jugendmediziner, fordern die Regierenden darin auf, die Einschränkungen für die Jüngsten zu beenden. Das heißt: Schluss mit Schulschließungen, Schluss mit Quaränte für gesunde Kinder und Schluss mit anlasslosen Reihentestungen.
„Insgesamt brauchen wir eine Rückkehr zur Normalität für unsere Jüngsten“, so die Verfasser. „Viren mutieren“, das sei „kein Grund, Kinderrechte massiv zu verletzen“, heißt es angesichts der Ausbreitung von Omikron und den „reflexartigen Rufen nach KiTa- und Schulschließungen.“
Kinder haben geringes Gesundheitsrisiko
Krüger und seine Mitstreiter argumentieren, dass Kinder und Jugendliche nach wie vor ein geringes Krankheitsrisiko hätten und es Hinweise gebe, dass dieses durch Omikron noch einmal verringert sei. Erwachsene könnten sich selbst effektiv schützen und für Kinder mit Vorerkrankung gebe es eine Impfung. Zudem zeige der Blick auf Länder wie Frankreich und die Schweiz, dass das Offenhalten von Schulen nicht zu mehr Coronatodesfällen geführt habe als in Deutschland.
Statt „Schulschließungen durch die Hintertür“ durch die Quarantäneregelungen, brauche man wissenschaftlich validierte „Test to stay“-Programme, wie sie auch in anderen Ländern – aktuell auch in UK - genutzt werden: Bei einem positiven Fall testen sich anlassbezogen Kontaktpersonen täglich und dürfen in der Schule bleiben, solange sie negativ getestet sind.
Übergang zur Endemie muss vorbereitet werden
Die Verfasser fordern außerdem eine vorausschauende Strategie für den Übergang von der Pandemie zur Endemie, die insbesondere Kindern und Jugendlichen schnellstmöglich Normalität im Alltag garantiere.
Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, so die Verfasser, müssten endlich bei den Risikogruppen und Erwachsenen ansetzen, anstatt Kinder und Jugendliche einzuschränken. Spätestens, wenn die Omikronwelle abklingt, müsse auch die Maskenpflicht in der Schule fallen.
Kinder und Jugendliche hätten bereits einen erheblichen Beitrag zur Bewältigung der Pandemie geleistet, schreiben Krüger & Co. Doch sie selbst hätten sie keinen Nutzen davon gehabt, sondern „gravierende Nachteile, unter denen sie noch Jahre leiden werden.“
Kritik an den Forderungen
Im Politbetrieb stoßen die Vorschläge auf wenig Verständnis. Ein Abbau von Tests und Schutzmaßnahmen wäre fatal, sagte die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Ria Schröder, WELT. Das bringe Kinder und ihre Familien in Gefahr, insbesondere solche mit Vorerkrankungen. Ähnlich äußerten sich auch Vertreter von CDU und der Linkspartei sowie die Anja Bensinger-Stolze von der Bildungsgewerkschaft GEW. Der Wunsch vieler Eltern nach Normalität für ihre Kinder sei zwar nachvollziehbar, sagte Bensinger-Stolze, aber Sicherheit gehe vor.