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Nierenwerte: „Wettervorhersage“ für den COVID-19-Verlauf

Sonntag, 17. Mai 2020 – Autor:
Ist die Niere früh in die COVID-19-Erkrankung involviert, ist das Risiko für Komplikationen größer und eine frühe therapeutische Intervention angesagt. Sind die Nierenwerte dagegen unauffällig, könnten Patienten die Krankheit „beruhigt zu Hause auskurieren“, sagt die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie und fordert, drei aussagekräftige Werte bei COVID-19 künftig immer schon sofort abzuklären.
Arzt im weißen Kittel zeigt Tablet-PC-Display: zwei dunkelrote Nieren abgebildet.

Die Nierenwerte: Gutes Prognoseinstrument für einen möglichen schweren – oder leichten – Verlauf von COVID-19. – Foto: ©Davizro Photography - stock.adobe.com

Ein gebräuchliches Synonym für die COVID-19-Erkrankung ist nach wie vor der Begriff „Lungenkrankheit“. Doch aktuelle Studien festigen die Hypothese, dass neben der Lunge ein oder mehrere weitere Organe von der Infektionskrankheit betroffen sein können. Erst vor wenigen Tagen publizierten Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) eine Studie, nach der das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) auch Herz, Gehirn, Leber oder Nieren befallen kann. Besonders die Nieren stehen aktuell im Fokus: In einer vor drei Wochen veröffentlichten chinesischen Studie heißt es, dass eine Nierenbeteiligung bei COVID-19-Patienten (häufig: ein komplettes Nierenversagen) die Sterblichkeit um den Faktor 10 erhöhe. Jetzt weist die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) auf eine noch tiefer gehende Erkenntnis hin und sagt: Die Nierenwerte eignen sich von vornherein als regelrechtes Prognose-Instrument für einen möglichen Verlauf von COVID-19 – im Guten wie im Schlechten.

Drei Nierenwerte entscheidend für Risikoeinschätzung

Nach Einschätzung der DGfN sind bereits frühe Zeichen einer Nierenbeteiligung bei der Coronavirus-Erkrankung prognostisch bedeutsam. Die drei Kernparameter zur Risikoeinschätzung: Eiweißverlust im Urin, geringerer Eiweißgehalt im Blut und der Verlust von Antithrombin III. Letzteres ist ein in der Leber hergestelltes Körperprotein, das als einer der wichtigsten natürlichen Hemmstoffe der Blutgerinnung gilt. „Bereits zwei dieser drei Parameter erhöhen das Risiko der Patienten relevant, intensivpflichtig zu werden“, erklärt Oliver Gross, Oberarzt für Nierenheilkunde im Universitätsmedizin Göttingen. Ein Mangel an Eiweiß im Blut kann dem Facharzt zufolge zu einer „Wasserlunge“ führen, ein Mangel an Antithrombin-III zu Thromb-Embolien wie den gefürchteten Lungenembolien. Die betroffene Patientengruppe müsse engmaschig beobachtet und prophylaktisch behandelt werden.

Früher Nierencheck kann Leben retten

Ein nephrologisches Forscherteam der Universitätsmedizin Göttingen hat Anfang des Monats einen von ihm entwickelten Therapiepfad vorgestellt, um das Verlaufsrisiko bis hin zum Tod frühzeitig zu erkennen und intensivmedizinisch zu behandeln. Eine große Beobachtungsstudie zu dieser Strategie läuft bereits an mehreren Uniklinika. „Durch eine prophylaktische Therapie können wir diesen beiden Komplikationen, die vielen COVID-19-Patienten das Leben kosten, gezielt entgegenwirken“, sagt Nierenexperte Gross: erstens durch eine Entwässerungstherapie und zweitens durch eine intensivierte Antikoagulation (Blutgerinnungshemmung).

„Nierenwerte schnell zum Teil der COVID-19-Basisdiagnostik machen"

„Die Nieren sind demnach ein empfindlicher Seismograf und erlauben eine frühzeitige Vorhersage des COVID-19-Verlaufs“, erklärt Julia Weinmann-Menke, Pressesprecherin der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN). Die DGfN macht sich deshalb dafür stark, die drei Nierenwerte möglichst schnell zum Teil der COVID-19-Basisdiagnostik zu machen – sobald die neu aufgelegte Studie die Parameter validiert hat. Die Diagnostik der Nierenparameter sei im Übrigen unaufwändig und wenig kostenintensiv.

Kritik: Oft wird die Niere bloß mit dem Stethoskop abgehört

An der aktuellen Standarddiagnostik übt Professorin Weinmann-Menke klar Kritik: In der Regel nehme der untersuchende Arzt zwar einen Schleimhautabstrich vor und erfrage die Krankenvorgeschichte. Aber: Die Niere werde oft einfach nur mit dem Stethoskop abgehört – und der Patient bei Beschwerdefreiheit nach Hause geschickt. „Selbst bei einem positiven Ergebnis wird zugewartet, bis sich Beschwerden einstellen“, sagt Weinmann-Menke. „Dabei wissen wir, dass sich bei Patienten mit schweren Verläufen die Beschwerden oft plötzlich einstellen und innerhalb weniger Stunden dramatisch werden können.“

Nierenwerte okay: Patienten können COVID-19 zu Hause auskurieren

Die frühzeitige Diagnostik der Nierenwerte hat nach Einschätzung der DGfN für leicht an COVID-19 Erkrankte einen sehr positiven Effekt. DGfN-Pressesprecherin Weinmann-Menke: „Die Patienten, die keine Veränderungen der Nierenwerte aufweisen, könnten beruhigt zuwarten und die Viruserkrankung zu Hause auskurieren, die anderen könnten engmaschig beobachtet und prophylaktisch behandelt werden, bevor sich schwere Organversagen einstellen. Dieses Vorgehen könnte viele Leben retten.“

Foto: AdobeStock/Davizro Photography

Hauptkategorien: Medizin , Corona
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