Neurowoche 2014: Doch keine neuen Nervenzellen fürs Gehirn

Ernüchternde Erkenntnis: Anders als im Hippocampus bilden sich im Kortex keine neuen Neuronen
Es wäre zu schön gewesen. Ein Kreuzworträtsel hier, ein gutes Buch dort und schon sprießen neue Nervenzellen im Gehirn. Erst ein paar Jahre ist es her, dass die Neurowissenschaften mit ähnlich lautenden Meldungen Laien und Fachwelt gleichermaßen begeisterte. Doch jetzt müssen die Wissenschaftler zurückrudern. Die Neubildung von Neuronen, die sogenannte Neurogenese, konnte beim gesunden Erwachsenen bisher nur im Hippocampus tatsächlich nachgewiesen werden, einem evolutionär sehr alten Areal im Gehirn.
Die Hoffnung auch im Neokortex, wo höhere Funktionen wie Sprechen, Verstehen und Entscheidungszentren angelegt sind, Hinweise auf eine Neurogenese zu finden, hat sich dagegen zerschlagen. „Offenbar werden im Kortex doch keine neuen Zellen gebildet – weder im Gesunden noch bei Patienten mit Schlaganfall“, hieß es am Donnerstag auf der Neurowoche, dem größten deutschsprachigen Neurokongress in München.
Der Fund ist ein Rückschlag für die Schlaganfallforschung
Vor allem für die Schlaganfallforschung ist der neueste Fund ein Rückschlag. Experten hatten gehofft, die Neurogenese würde die Rehabilitation der Patienten nach einem ischämischen Schlaganfall auch im so wichtigen Neokortex unterstützen. Doch dem ist offenbar nicht so. „Die Wiederherstellung von verlorenen Gehirnfunktionen nach einem ischämischen Schlaganfall im Kortex muss auf andere Ursachen, wie Plastizitätseffekte, zurückgehen“, sagte PD Dr. Hagen B. Huttner, Oberarzt der Neurologie am Universitätsklinikum Erlangen. Allerdings könnten geschädigte Nervenzellen ihr Erbgut reparieren und so überleben.
Mit der Radiokarbonmethode können Forscher erstmals das Alter von Nervenzellen exakt bestimmen
Huttner hatte zusammen mit einem internationalen Forscherteam in einer spektakulären Studie die neuen, ernüchternden Erkenntnis zu Tage gebracht. Die Forscher untersuchten posthum 20 Patienten, die einen Schlaganfall erlitten hatten, schließlich aber an nichtneurologischen Ursachen verstorben waren. Mithilfe der Radiokarbonmethode wie sie Archäologen nutzen konnten sie das Alter der Nervenzellen in gesunden wie auch vom Schlaganfall betroffenen Gewebeproben des Kortex bestimmen. Dabei stellten sie fest, dass die Neuronen genauso alt waren wie die Patienten selbst, jüngere Zellen gab es nicht. Diesen Befund bestätigen auch immunhistochemische Analysen und Untersuchungen zur Neukombination der Erbsubstanz: Beide Methoden erbrachten keine Hinweise auf eine nennenswerte Neubildung von Nervenzellen.
Huttner: „Wir haben gezeigt, dass im Zeitraum zwischen drei Tagen und 13 Jahren nach einem ischämischen Schlaganfall in der Großhirnrinde keine nachweisbare Neurogenese stattfindet.“ Nach Ansicht des Neurologen wären Versuche, die Neubildung von Neuronen nach einem solchen Schlaganfall mit Medikamenten einzuleiten, zumindest in den untersuchten Hirnregionen wahrscheinlich wenig erfolgversprechend. „Das klingt ernüchternd, es wäre jedoch unseriös, den Menschen anhand der bisherigen Erkenntnisse allzu große Hoffnungen zu machen“, so Huttner. Auf der Neurowoche kündigte der Neurowissenschaftler an, demnächst eine weitere Hirnregion unter die Lupe nehmen zu wollen: In den Stammganglien wird ebenfalls eine Neurogenese vermutet.
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