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Neues Medizinprodukt gegen Gehirntumore

Mittwoch, 1. September 2010 – Autor:
Dr. Andreas Jordan, Gründer und Vorstandsmitglied für Forschung & Entwicklung der MagForce Nanotechnologies AG, über den Einsatz von Nanopartikeln in der Krebsmedizin, die Kraft der Wärme und das grosse Potenzial der Nano-Krebs-Therapie, die vierte Säule in der Krebsbehandlung zu werden.
Dr. Andreas Jordan

Dr. Andreas Jordan

Herr Dr. Jordan, Sie sind Begründer der Nano-Krebs-Therapie, jetzt wurde das Verfahren europaweit zugelassen. Was dürfen wir uns unter der neuen Hightech-Therapie vorstellen?

Jordan: Hinter dem neuen Verfahren steckt die Grundidee, dass man mit Hitze Tumorzellen zerstören kann. Wärme ist ausserdem die einzige Modalität, mit der man die Chemo- oder Strahlentherapieresistenz von Tumoren brechen kann. Mit Hilfe von magnetischen Nanopartikeln und einem Magnetwechselfeldapplikator ist es uns gelungen, ein Thermotherapieverfahren zu entwickeln, das in der Lage ist, Tumorgewebe von innen heraus zu zerstören. Gesundes Gewebe wird dabei nicht geschädigt, weil wir die Hitzeverteilung exakt berechnen und auf das Tumorgewebe begrenzen können.

Die Wärme im Tumor erzeugen Sie mit speziellen Nanopartikeln und einem Magnetfeld. Wie funktioniert Ihre Waffe gegen den Krebs in der Anwendung?

Jordan: Bei der Nano-Krebs-Therapie spritzt der Arzt magnetische Nanopartikel, das sind in Wasser gelöste, chemisch oberflächenmodifizierte Eisenoxid-Partikel, direkt in den Tumor hinein. Anschliessend werden die nur 12 Nanometer grossen Partikel durch ein Magnetfeld, das 100.000 Mal in der Sekunde seine Polarität wechselt, in Schwingung versetzt und erzeugen dadurch Wärme.

Welche Temperaturen sind denn notwendig, damit die Krebszellen absterben?

Jordan: Bei Temperaturen ab 46 Grad werden nahezu alle Biomoleküle der Zellen betroffen und die Zelle stirbt direkt an den Folgen der Überhitzung ab (Thermoablation). Ansonsten sind Temperaturen ab 40 Grad ausreichend, um die Wirkung einer gleichzeitig angewandten Strahlen- oder Chemotherapie zu verstärken (Hyperthermie). Hierbei werden Reparaturenzyme, die normalerweise Strahlenschäden an der DNS reparieren und so das Überleben von Tumorzellen ermöglichen, so geschädigt, dass die Tumorzellen absterben. Auch Proteine, die für die Chemoresistenz von Tumorzellen verantwortlich sind, werden durch Wärme geschädigt, so dass ursprünglich resistente Zellen wieder auf die Chemotherapie ansprechen. Diese Temperaturen konnten wir in den bisher durchgeführten Studien bei den meisten soliden Tumoren erreichen.

Die Behandlung sei schmerzfrei, heisst es. Stimmt das?

Jordan: Ja, zumindest bei den Gehirntumorpatienten verspürt der Patient während der Behandlung, die 60 Minuten dauert, hauptsächlich ein Wärmegefühl und schwitzt. Die meisten anderen Nebenwirkungen, wie z. B. neurologische Störungen oder Kopfschmerzen, treten auch als Symptom der Grunderkrankung in Erscheinung. Insgesamt wird die Therapie gut vertragen.

Die soeben erfolgte Zulassung für Ihre Thermotherapie umfasst die Behandlung von Gehirntumoren. Mit welchen Daten konnten Sie die zuständigen Behörden überzeugen?

Jordan: Ausschlaggebend für die Zulassung war unsere in 2009 abgeschlossene Leitstudie, in der wir gemeinsam mit der Charité, dem Bundeswehrkrankenhaus in Berlin und dem Helios-Klinikum in Krefeld die Wirksamkeit der Thermotherapie in einer Kombination mit perkutaner Strahlentherapie bei 59 Patienten mit Glioblastom-Rezidiven untersucht haben. Das Glioblastom ist der aggressivste aller Hirntumore, der in nahezu 100 Prozent der Fälle zum Rezidiv führt. Wir konnten im Rahmen unserer Studie aufzeigen, dass das Überleben der Rezidivpatienten durch die kombinierte Thermo/Radiotherapie gegenüber einer historischen Vergleichsgruppe von durchschnittlich 6,2 auf 13,4 Monate verlängert - also mehr als verdoppelt -  werden konnte. Das ist ein sehr schönes Ergebnis.

In der Krebstherapie ist jeder Monat ein Erfolg...

Jordan: Die 13,4 Monate sind nur der Medianwert. Einige Patienten profitieren sicher mehr als andere von der kombinierten Therapie.

Sie haben weitere klinische Studien aufgelegt, um weitere Wirksamkeitsnachweise zu erbringen. Was steckt da noch in Ihrer Forschungspipeline?

Jordan: Derzeit laufen klinische Studien zum Prostata- und Pankreaskarzinom. Weitere sind in Planung. Und wir haben eine Studie abgeschlossen, in der ganz unterschiedliche Lokalrezidive mit der Nano-Krebs-Therapie behandelt wurden. Im Prinzip lassen sich alle soliden Tumore mit dieser neuen Therapie behandeln. Die Nano-Krebs-Therapie ist, wie ich immer sage, die Pyramide im Sand. Wenn man sie weiter ausgräbt wird sich sicher noch ein ganz anderes Potenzial ergeben.

Zum Beispiel?

Jordan: Wir haben zum Beispiel ein System entwickelt, mit dem temperaturunabhängig Wirkstoffe von unseren Partikeln aus freigegeben werden können. Die Partikel nutzen wir dann zwar immer noch zur Erzeugung von Wärme, aber in diesem Fall auch als Trägersystem bzw. Shuttle, um bestimmte Wirkstoffe wie etwa Chemotherapeutika mit einer Art Schalterfunktion gezielt freizusetzen. Ein ähnliches Prinzip verfolgen wir auch im Zusammenhang mit Radiopharmaka, bei der die Nanopartikel die strahlenden Stoffe im Tumor festhalten und so eine definierte "innere" Strahlentherapie ermöglichen. Sie sehen also, unsere Forschungspipeline ist voll von Produkten, die zum Teil den "Proof of concept" im Labor schon erbracht haben.

Noch ist die Nano-Krebs-Therapie nicht eingeführt. Ab wann können die ersten Patienten in Deutschland damit behandelt werden?

Jordan: 2011 wollen wir die Anwendung unseres Therapieverfahrens in den ersten Kliniken etablieren. In zwei bis drei Jahren sollen die für die Therapie erforderlichen Magnetfeldapplikatoren an den wichtigsten Zentren in Deutschland stehen, parallel dazu auch die ersten Geräte ausserhalb Deutschlands. Das Interesse der Kliniken ist gross, und auch die Krankenkassen zeigen sich durchaus aufgeschlossen für das neue Konzept. Oftmals co-finanzieren Krankenkassen sogar Studien, um herauszufinden, welche Therapie bei gleicher Wirksamkeit, die kostengünstigere ist. Wir rechnen damit, dass bereits im nächsten Jahr einzelne Kliniken über sogenannte Sonderentgelte erste Erstattungen bekommen werden.

Können Sie uns schon etwas zu den Kosten sagen, schliesslich ist das Kernstück Ihres Produktes der Magnetwechselfeldapplikator, ein äusserlich MRT-ähnliches Grossgerät, das sicher nicht aus der Portokasse bezahlt werden kann ...

Jordan: Zu den Therapiekosten können wir noch keine abschliessende Einschätzung abgeben, aber sie wird wohl im gleichen Grössenbereich wie die derzeit beim Glioblastom angewandten Therapien sein. Derzeit entwickeln wir gemeinsam mit externen Experten eine Strategie und ein Konzept zum Markteintritt und zur Preisbildung und stehen im Dialog mit Vertretern der Krankenkassen und der Kliniken sowie mit Meinungsbildnern aus den Bereichen Neurochirurgie, Neuroonkologie und Radioonkologie. Im 4. Quartal dieses Jahres sollten wir ein schlüssiges Sales- und Marketingkonzept und durchsetzbares Preismodell vorliegen haben.

Hauptkategorien: Gesundheitspolitik , Medizin

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