Neues Kompetenznetzwerk für Seltene Erkrankungen erfolgreich gestartet
Insgesamt betrachtet sind die sogenannten Seltene Erkrankungen gar nicht selten. Allein in Deutschland leben rund vier Millionen Menschen mit einer solchen Erkrankung. Als selten wird eine Krankheit definiert, wenn nicht mehr als einer von 2.000 Menschen davon betroffen sind. Weltweit sind ungefähr 8.000 Seltene Erkrankungen bekannt. Nicht nur in der Erforschung und Behandlung dieser Leiden hinkt die Medizin hinterher – auch bis zu einer Diagnose vergeht häufig viel zu viel Zeit.
Sieben Jahre dauert es im Durchschnitt, bis eine Seltene Erkrankung diagnostiziert wird. Studien besagen dass 21 Prozent der Patienten mit einer Seltenen Erkrankung bei mehr als fünf verschiedenen Ärzten gewesen sind, bis herausgefunden wird, was ihnen fehlt. Eine Standardisierung von Prozessen und eine bundesweite Vernetzung der vorhandenen Expertise könnten bei der Versorgung der Patienten helfen. Dabei soll das Projekt TRANSLATE-NAMSE helfen, das mit Mitteln aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses das Ziel verfolgt, die Versorgung von Patienten mit einer unklaren Diagnose oder dem Verdacht auf eine Seltene Erkrankung zu verbessern. Seit Dezember 2017 werden Betroffene in das Versorgungsprojekt eingeschlossen. Jetzt konnten erste Erfolge verzeichnet werden.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Um Seltene Erkrankungen richtig diagnostizieren und behandeln zu können, bedarf es einer interdisziplinären Zusammenarbeit. Hier setzt TRANSLATE-NAMSE an: Mit dem Projekt ist ein bundesweit tätiges Netzwerk von Spezialisten geschaffen worden, die ihr Fachwissen in die umfassende Analyse von Patienten mit Verdacht auf eine Seltene Erkrankung oder unklare Diagnose einbringen. „Mit Fallkonferenzen wollen wir den Austausch untereinander fördern, um sowohl die Diagnosestellung als auch die Behandlung unklarer Fälle zu verbessern und um damit den Betroffenen einen oft jahrelangen Leidensweg ersparen zu können“, erklärt Professor Heiko Krude, Konsortialleiter des Projektes. Durch ein Fallmanagement, das überregionale Expertise einbindet und den Zugang der Versorger zu den Daten der beteiligten Zentren ermöglicht, soll die Zeit bis zur Diagnose und richtigen Behandlung verkürzt werden.
„Ziel muss es sein, nach der dreijährigen Laufzeit des Projektes die standardisierten interdisziplinären Prozesse, die bisher nicht in der Betreuung abgebildet sind, in die Regelversorgung zu überführen“, fügt Krude hinzu, der auch Leiter des Berliner Centrums für Seltene Erkrankungen an der Charité ist. Die ersten Ergebnisse sind positiv: So ist es den Projektpartnern durch die Zusammenarbeit der verschiedenen Fachrichtungen bereits in einzelnen Fällen gelungen, konkrete Diagnosen für Patienten mit Verdacht auf eine Seltene Erkrankung zu stellen. Unterstützt wird das Projekt von der AOK Nordost und der Barmer GEK, durch die Evaluatoren der Berlin School of Public Health an der Charité (BSPH) und von dem Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung Dresden (ZEGV) sowie von der Patientenorganisation Achse e.V.
Bessere Versorgung der Patienten
Dr. Jörg Richstein, Vorstandsvorsitzender der Achse, sieht in der Zielstellung von TRANSLATE-NAMSE eine wesentliche Umsetzung der Maßnahmen, die bereits 2013 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der Achse im Nationalen Aktionsplan für Menschen mit Seltenen Erkrankungen empfohlen worden sind: „Ärzte, Wissenschaftler, die Patientenseite und die Krankenkassen haben gemeinsam die Chance, Maßnahmen aus dem Nationalen Aktionsplan für Menschen mit Seltenen Erkrankungen mit Leben zu füllen. Mit TRANSLATE-NAMSE setzen wir so ein Zeichen für eine bessere Versorgung der Betroffenen.“
Neben Patienten ohne Diagnose liegt der Fokus im Projekt TRANSLATE-NAMSE auch auf der Entwicklung von Versorgungspfaden bei Patienten mit definierten Seltenen Erkrankungen, wie beispielsweise einer angeborenen Stoffwechselerkrankung oder Hormonstörung, einem angeborenen Immundefekt oder einer neurologisch bedingten Bewegungsstörung. Zur Abklärung sowie bei Versorgungsproblemen können sich Betroffene an eins der neun am Projekt beteiligten Zentren für Seltene Erkrankungen über den Kinder- oder Hausarzt wenden.
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