Dauerhafte, lästige Ohrgeräusche oder Ohrensausen bezeichnet man als Tinnitus. In Deutschland sind Schätzungen zufolge über 10 Millionen Menschen davon betroffen. Die Ursachen für den Tinnitus können höchst unterschiedlich sein und reichen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen über Infektionen des Ohres bis hin zu Nebenwirkungen von Medikamenten. Bei der Behandlung kann der Einsatz von Kortison sinnvoll sein; meist hilft aber vor allem ein Bewältigungs- und Wahrnehmungstraining.
Auch eine Musiktherapie kann die lästigen Ohrgeräusche reduzieren. Die Therapie fußt auf der Annahme, dass bei einem Tinnitus bestimmte Töne nicht mehr wahrgenommen werden; da das Gehirn diese Töne aber trotzdem erwartet, erhöht es die Empfindlichkeit für die betreffenden Frequenzen. Als Folge davon werden bestimmte Nervenzellen so übersensibilisiert, dass sie ständig aktiv sind und die Phantomgeräusche erzeugen.
Gehirn kann fehlende Töne rekonstruieren
Im Rahmen der Neuro-Musiktherapie lernen die Patienten nun, Töne zu singen oder zu summen, die knapp unterhalb ihrer Tinnitusfrequenz liegen. Weil dabei gleichzeitig die Ober- und Untertöne mitschwingen, kann das Gehirn den fehlenden Ton rekonstruieren - so die Theorie. Und tatsächlich zeigte die Therapie in einer Studie einen durchschlagenden Erfolg. Schon nach wenigen Tagen empfanden mehr als 80 Prozent der Probanden den Tinnitus nicht mehr als quälend, bei acht Prozent verschwand er ganz.
„Man kann sich das wie eine Klaviertastatur vorstellen, bei der eine Taste fehlt, denn das menschliche Gehör ist nach Frequenzen geordnet. Da das Gehirn den fehlenden Ton erwartet, aber nicht empfängt, versucht es diesen – analog zu einem Verstärker – lauter zu drehen. Die Folge kann eine Rückkopplung sein, die durch die Selbstanregung als Phantomgeräusch wahrgenommen wird“, erklärt Christoph Krick vom Neurozentrum der Saar-Universität in Homburg. Krick wollte nun herausfinden, ob sich dieser Vorgang auch im Magnetresonanz-Tomographen (MRT) abbilden lässt.
Tinnitus: Wirkung der Musiktherapie ist dauerhaft
Der Forscher konnte anhand von MRT-Aufnahmen zeigen, dass sich durch die Musiktherapie die Gehirnstrukturen der Patienten tatsächlich verändert hatten - und das schon nach fünf Tagen. In diesem Zeitraum waren die Nervenzellen in dem Bereich, der aufgrund der Tinnitus-Störung abgebaut worden war, nachgewachsen. „Auch das lässt sich über ein Klavier erklären“, so Krick. „Wenn Sie dort einen Ton anschlagen, schwingen automatisch die Ober- und Untertöne mit, das sind Töne in anderen Oktaven. Die Tinnitus-Patienten können über das Nachsummen und Singen von Grundtönen zur meist höheren Tinnitus-Frequenz den fehlenden Ton im Gehirn rekonstruieren.“
Gekoppelt wurde die Musiktherapie mit verschiedenen Entspannungstechniken, denn auch Stress kann einen Tinnitus verstärken. Der Effekt der Therapie war umso stärker, je deutlicher sich die Symptome der Patienten besserten. Die Wissenschaftler glauben, damit die Ursache für den lang anhaltenden Therapieeffekt gefunden zu haben. Dieser, so berichten die Forscher, bleibe auch drei Jahre nach dem vergleichsweise kurzen Trainingsintervall noch bestehen.
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