Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt
Logo Gesundheitsstadt Berlin
Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt

MS-Medikamente bei Kinderdemenz wirksam

Dienstag, 8. August 2017 – Autor: anvo
Demenz ist nicht nur eine Alterskrankheit. Auch Kinder und Jugendliche können darunter leiden. Nun konnten Forscher der Universität Würzburg zeigen, dass Medikamente, die aus der MS-Therapie bekannt sind, auch gegen Kinderdemenz wirksam sind.
Demenz bei Kindern

Kinderdemenzen gehören zu den seltenen Erkrankungen – Foto: ©Tobilander - stock.adobe.com

Neuronale Ceroid-Lipofuszinosen (CLN) – so lautet der medizinische Fachausdrück für die Kinderdemenz. Mehr als zehn Formen dieser Krankheit sind bisher bekannt. Alle werden durch Genmutationen verursacht und sind bislang nicht behandelbar. Kinderdemenzen machen sich zuerst durch eine Verschlechterung der Sehleistung bemerkbar; es folgen epileptische Anfälle, Erblindung, Taubheit, Demenz und ein früher Tod. Ein Forschungsteam der Universität Würzburg sieht nun jedoch gute Chancen, mit etablierten Medikamenten gegen Kinderdemenz vorzugehen. Dabei handelt es sich um die aus der MS-Therapie bekannten Mittel Fingolimod und Teriflunomid. Ihre Beobachtungen publizierte die Arbeitsgruppe in der Fachzeitschrift „Molecular Therapy“.

Entzündungen im Gehirn verstärken Kinderdemenz

Bereits vor einigen Jahren hat die Forschungsgruppe um Professor Rudolf Martini, Leiter der Sektion Experimentelle Entwicklungsneurobiologie an der Neurologischen Klinik des Würzburger Universitätsklinikums, entdeckt, dass Kinderdemenzen durch eine schleichende Entzündungsreaktion im Gehirn verstärkt werden. Daher könnten Medikamente, die auf diese Entzündungen wirken, helfen. Martinis Gruppe verfolgt seitdem einen Weg, der diese Erkenntnis möglicherweise klinisch umsetzbar macht.

Nun konnten die Forscher zeigen, dass die immunmodulatorischen Medikamente Fingolimod und Teriflunomid, die auch bei Multipler Sklerose eingesetzt werden, eine therapeutische Wirkung bei Kinderdemenz haben – zumindest im Mausmodell. Schon vorher hatte sich dieser Effekt in grundlagenwissenschaftlichen Experimenten angedeutet. Im Tierversuch konnten beide Medikamente die krankhaften Veränderungen im Gehirn sowie bestimmte klinische Symptome deutlich reduzieren. Außerdem bewirkten sie, dass die Netzhaut des Auges weniger und langsamer degenerierte.

Immunmodulatoren könnten helfen

Zunächst bewerteten die Wissenschaftler ihre Ergebnisse noch zurückhaltend, da sie nicht wussten, ob ähnliche Entzündungsreaktionen wie im Tiermodell auch bei Patienten mit Kinderdemenz auftreten und ob sie damit tatsächlich eine neue Behandlungschance an der Hand haben. Deshalb untersuchten sie zusätzlich selten verfügbare Hirnautopsien, die ihnen von der „London Neurodegenerative Disease Brain Bank and Brains for Dementia Research“ zur Verfügung gestellt wurden. Das Ergebnis: Alle untersuchten Proben wiesen Entzündungsreaktionen auf, die denen der Modellmäuse erheblich ähnelten. Somit bestehen gute Chancen, dass auch Patienten auf eine Behandlung mit den Immunmodulatoren ansprechen.

Klinische Studien bei Seltenen Erkrankungen schwierig zu finanzieren

Mit bundesweit etwa 500 und weltweit rund 50.000 erkrankten Kindern gehört die Kinderdemenz zu den sogenannten Seltenen Erkrankungen. „Naturgemäß sind diese Erkrankungen für die meisten Pharmafirmen wegen der hohen Entwicklungskosten von Medikamenten für relativ wenige Patienten von geringem Interesse“, so Martini. Die Untersuchungen seines Teams zeigen nun aber einen Weg, wie man mit bereits im klinischen Einsatz befindlichen Medikamenten gegen Kinderdemenzen vorgehen kann.

Ein weiterer Vorteil: Mögliche Nebenwirkungen und Risiken sind bereits bekannt. Dennoch müssten klinische Studien die Wirksamkeit bei Kinderdemenz noch bestätigen. Solche Studien zu finanzieren, ist jedoch aufgrund der Seltenheit der Erkrankung problematisch. Zurzeit wären daher mit den Medikamenten höchstens individuelle Heilversuche möglich.

Foto: © Tobilander - Fotolia.com

Hauptkategorien: Medizin , Pflege
Lesen Sie weitere Nachrichten zu diesen Themen: Demenz , Alzheimer , Kinder , Seltene Erkrankungen

Weitere Nachrichten zum Thema Seltene Erkrankungen

Kinderdemenz ist eine sehr seltene Erkrankung, an der die Betroffenen früh versterben. Nun scheinen Forscher erstmals einen Behandlungsansatz gefunden zu haben. Eine Studie zeigt, dass die spätinfantile Neuronale Ceroid Lipofuszinose (CLN2) durch ein synthetisch hergestelltes Enzym aufgehalten werden kann.

Aktuelle Nachrichten

Mehr zum Thema
Das Chronische Fatigue Syndrom (CFS) bedeutet für viele Patienten meist einen weitgehenden Verlust ihres bisherigen Lebens. Dennoch gibt es bisher kaum wirksame Therapien und zu wenig Forschung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit Professor Carmen Scheibenbogen über die Erkrankung und ihre Behandlungsmöglichkeiten gesprochen.
Weitere Nachrichten
Die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie machen Beschäftigten in Gesundheitsberufen besonders zu schaffen. Das zeigt eine Analyse der AOK-Nordost für Berlin. Eine Berufsgruppe ist sogar doppelt so oft betroffen wie der Durchschnitt der Versicherten.

Die Charité hat am Montag eine stadtweite Kampagne gestartet, um neue Mitarbeitende zu gewinnen. Besonders Pflegekräfte werden umworben, aber auch in Forschung, Lehre und Verwaltung sucht die Universitätsmedizin Verstärkung.

Trotz internationaler Transparenzregeln werden viele klinische Studien nicht veröffentlicht. Wichtige Ergebnisse bleiben somit verborgen. Dem setzt das Berlin Institute of Health (BIH) der Charité nun mit einem öffentlich einsehbaren Dashboard etwas entgegen.
Interviews
Einen ambulanten Pflegedienst in Berlin zu finden, ist schwierig geworden. Personalmangel ist das Hauptproblem. Dabei gäbe es relativ einfache Lösungen, sagt Thomas Meißner vom AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG). Im Gespräch mit Gesundheitsstadt Berlin verrät der Pflegeexperte und Chef eines häuslichen Krankenpflegedienstes, wie man Menschen in den Pflegeberuf locken könnte und warum seine Branche noch ganz andere Sorgen hat als die Personalfrage.

Affenpocken verlaufen in der Regel harmlos. Doch nicht immer. Dr. Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik für Infektiologie am St. Joseph Krankenhaus in Berlin Tempelhof, über die häufigsten Komplikationen, die Schutzwirkung der Impfung und den Nutzen von Kondomen.

Zöliakie kann in jedem Lebensalter auftreten und ein buntes Bild an Beschwerden machen. Bislang ist das wirksamste Gegenmittel eine glutenfreie Ernährung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit PD Dr. Michael Schumann über die Auslöser und Folgen der Autoimmunerkrankung gesprochen. Der Gastroenterologe von der Charité hat an der aktuellen S2K-Leitinie „Zöliakie“ mitgewirkt und weiß, wodurch sich die Zöliakie von anderen Glutenunverträglichkeiten unterscheidet.
Logo Gesundheitsstadt Berlin