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Molekularer Mechanismus bei Zwangsstörungen entdeckt

Montag, 10. April 2017 – Autor: Anne Volkmann
Bisher gibt es gegen Zwangsstörungen keine spezifischen Medikamente – meist werden Betroffene mit Antidepressiva behandelt. Nun haben Forscher einen molekularen Signalweg gefunden, der an der Entstehung von Zwangsstörungen beteiligt ist, und damit eine Option für neue Therapiemöglichkeiten eröffnet.
Zwangserkrankungen

Zwangsstörungen sind für Betroffene mit einem erheblichen Leidensdruck verbunden – Foto: Picture-Factory - Fotolia

Die meisten Menschen haben bei sich schon einmal zwanghafte Vorstellungen oder Handlungen erlebt – beispielsweise, wenn sie immer wieder überprüfen, ob die Tür geschlossen oder der Herd ausgestellt ist. Von einer Zwangserkrankung oder Zwangsstörung spricht man aber erst dann, wenn diese Verhaltensweisen anhalten und großen Leidensdruck verursachen. Etwa zwei bis drei Prozent der Bevölkerung sind davon im Laufe ihres Lebens betroffen. Eine besonders häufige Zwangsstörung ist der Waschzwang. Dieser kann so weit gehen, dass die Betroffenen selbst dann nicht mit dem Waschen aufhören können, wenn die Haut bereits nachhaltig geschädigt ist. Prinzipiell können alle Zwänge so Überhand nehmen, dass die Erkrankten arbeitsunfähig werden und sich komplett aus dem Sozialleben zurückziehen. Die Entwicklung wirksamer Therapien wäre für viele von Zwangsstörungen betroffene Menschen daher ein Segen.

Überaktiver Signalweg löst Zwangsstörungen aus

Bisher werden Zwangsstörungen, ähnlich wie Depressionen, Essstörungen und andere psychiatrische Erkrankungen, vorwiegend mit Antidepressiva behandelt. Allerdings ist deren Wirkmechanismus sehr unspezifisch. Forscher suchen daher schon seit langem nach Therapiemöglichkeiten, die gezielter auf Zwangsstörungen zugeschnitten sind und weniger Nebenwirkungen haben. Nun gibt es einen Hoffnungsschimmer, denn Wissenschaftler der Julius-Maximilians-Universität Würzburg haben einen molekularen Signalweg in der Amygdala entdeckt, der zur Entstehung von Zwangsstörungen beiträgt und medikamentös beeinflusst werden kann.

Die Forscher um Professor Kai Schuh vom Physiologischen Institut der Universität Würzburg konnten in Versuchen mit Mäusen zeigen, dass ein bestimmter molekularer Mechanismus an der Entstehung von Zwangsstörungen beteiligt ist. So fanden sie heraus, dass bei den Tieren das Fehlen des Proteins SPRED2 ein übersteigertes Sauberkeitsverhalten auslösen kann.

Das Protein SPRED2 kommt in allen Zellen des Körpers vor und tritt besonders konzentriert im Gehirn auf – und zwar in den Basalganglien und der Amygdala-Region. Normalerweise hemmt SPRED2 einen wichtigen Signalweg der Zelle. Fehlt das Protein, läuft die sogenannte Ras/ERK-MAP-Kinase-Kaskade mit einer höheren Aktivität ab als im Normalfall, was im Tierversuch wiederum das übersteigerte Sauberkeitsverhalten auslöste. „Es ist vor allem der gehirnspezifische Initiator des Signalwegs, die Rezeptortyrosinkinase TrkB, die hier verstärkt aktiv ist und die überschießende Reaktion der nachgeschalteten Komponenten bewirkt“, so die Studienautoren.

Hoffnung auf neue Therapieoptionen

Die Forscher hoffen nun, dass ihre Erkenntnisse zur Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten gegen Zwangsstörungen beitragen können, denn mit einem Hemmstoff kann die übermäßig aktive Signalkaskade beruhigt werden. Wie die Wissenschaftler berichten, gibt es bereits Arzneimittel, die diese Kaskade hemmen. Allerdings ist der Wirkstoff bisher nur als Bestandteil von Krebsmedikamenten zugelassen, da die Überaktivierung der Ras/ERK-MAP-Kinase-Kaskade ein häufiger Auslöser von Krebserkrankungen ist. Daher müsste nun geklärt werden, ob die Medikamente auch gegen Zwangsstörungen wirken und ob sie hinsichtlich der Nebenwirkungen gegenüber Antidepressiva Vorteile bringen.

Foto: © Picture-Factory - Fotolia.com

Hauptkategorie: Medizin
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