
Alles nur eine Frage des Kontrasts? Forscher vermuten, dass Lesen von schwarzer Schrift auf weißem Grund kurzsichtig macht – Foto: ©baranq - stock.adobe.com
Der Intellektuelle mit der dicken Brille ist ein Stereotyp für Kurzsichtigkeit. Tatsächlich nimmt die sogenannte Myopie mit zunehmendem Bildungsgrad zu: Jeder zweite Abiturient in Deutschland ist kurzsichtig und mit jedem Jahr Ausbildung kommt im Schnitt etwa eine Viertel-Dioptrie hinzu. Nun haben Wissenschaftler der Universitätsklinik Tübingen eine mögliche Erklärung für das Phänomen gefunden: Die Sehschwäche könnte am Lesen liegen.
Augenwachstum führt zu Kurzsichtigkeit
Um das zu verstehen, muss man wissen, wie Kurzsichtigkeit entsteht. Bei Kurzsichtigkeit (Myopie) wächst das Auge zu lang, das Bild wird vor der Netzhaut scharf abgebildet und man sieht in der Ferne unscharf. Durch Tier-Experimente ist bekannt, dass zwei bestimmte Zellarten für das Wachstum der Augen entscheidend sind: So hemmt die Stimulation der ON-Zellen tendenziell das Augenwachstum, während die Stimulation der OFF-Zellen es verstärken kann. On-Zellen bewerten, ob in ihrem lichtempfindlichen Bereich die Mitte heller und die Umgebung dunkler ist, Off-Zellen dagegen bewerten, ob die Mitte dunkler, und die Umgebung heller ist. Beim normalen Sehen werden beide Typen ähnlich stark gereizt.
Schwarz auf weiß könnte das Problem sein
Doch beim Lesen von Büchern, Zeitschriften, Manuskripten und Bildschirmtexten, wo sich üblicherweise dunkle Schrift auf hellem Grund befindet, ist das anders: Den Tübinger Forschern zufolge werden hierbei hautsächlich die OFF-Zellen stimuliert.
„Dies lässt erwarten, dass schwarzer Text auf hellem Hintergrund die Myopieentwicklung fördert, und heller Text auf dunklem Hintergrund die Myopie hemmt“, berichten die Forscher um Andrea C. Aleman, Min Wang und Frank Schaeffel jetzt im „Scientific Reports Nature“. „Den Textkontrast umzukehren, wäre deshalb eine einfach umzusetzende Maßnahme, die Myopieentwicklung aufzuhalten, denn immer mehr Zeit wird beim Arbeiten und Lesen an Computerbildschirmen und Tablets verbracht.“
Heißt im Klartext: Weiße Schrift auf schwarzen Hintergrund wäre vermutlich besser fürs Auge und könnte eine Kurzsichtigkeit verhindern. Hinweise darauf zeigten bereits erste Experimente: Das Forscherteam hatte Probanden am Computer sowohl dunklen Text auf hellem Hintergrund lesen lassen als auch hellen Text auf dunklem Hintergrund. Bereits nach 30 Minuten konnten sie mittels der optischen Kohärenztomographie (OCT) messen, dass die Aderhaut dünner wurde, wenn schwarzer Text gelesen wurde, und dicker, wenn Text mit umgekehrtem Kontrast gelesen wurde.
Aderhaut reagiert auf Textkontrast
Die Aderhaut ist die Schicht hinter der Netzhaut. Veränderungen ihrer Dicke sagen vorher, wie das Auge in nächster Zeit wachsen wird. Wird die Aderhaut dünner, weist das auf die Entwicklung einer Myopie hin, wird sie dicker, bleibt das Augenwachstum gehemmt, sprich es entwickelt sich keine Kurzsichtigkeit.
Ob eine Umkehrung des Textkontrasts auch im echten Leben eine Kurzsichtigkeit verhindern kann, steht aber noch nicht fest. Die Tübinger wollen diese Frage in einer nächsten Studie mit Schulkindern erforschen.
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